Weil deine Augen ihn nicht sehen
sie befürchtet hatten, dass sie sich zu sehr aufregten, wenn sie ihre Eltern im Fernsehen sehen würden.
Es stellte sich heraus, dass das ein Fehler war, denn nach der Sendung hatte Kater Karlo angerufen und darauf bestanden, dass sie eine Aufnahme von den Kleinen machten, und die sollten dabei so tun, als hätten sie die Sendung gesehen und diesen Bailey ansprechen. Und als sie dann versucht hatten, die beiden dazu zu bringen, etwas in das Handy zu sagen, hatte Kelly, diese Rotzgöre, doch glatt angefangen zu meutern.
»Wir haben ihn gar nicht im Fernsehen gesehen, und Mommy und Daddy haben wir auch nicht gesehen, und wir wollen wieder nach Hause«, hatte sie fordernd gesagt. Und dann hatte Kathy jedes Mal zu husten angefangen, wenn sie »Hallo, Mr. Bailey« sagen sollte.
Zu guter Letzt haben wir Kelly doch noch dazu gebracht, das zu sagen, was Kater Karlo verlangt hatte, indem wir ihr versprochen haben, sie wieder nach Hause zu bringen, dachte Angie. Clint hat ihm die Aufnahme dann vorgespielt, und er hat gemeint, es sei in Ordnung, dass Kathy nur ein paar Wörter gesagt hätte. Ihr schwerer Husten hat ihm sogar gefallen. Er hat dann alles auf seinem eigenen Handy aufgenommen.
Sie schob den Einkaufswagen in die Apothekenabteilung und erstarrte. Neben der Theke hing ein lebensgroßes Bild der Zwillinge. Darunter stand in fetten Buchstaben: ENTFÜHRT. BELOHNUNG FÜR JEDEN HINWEIS AUF IHREN AUFENTHALTSORT.
Es waren keine anderen Kunden da, und sie wurde sofort von Julio angesprochen. »Hi, Angie«, sagte er, dann deutete er auf das Plakat. »Schrecklich, diese Entführung. Man fragt sich, was das bloß für Leute sind, die so was machen.«
»Ja, das ist wirklich schrecklich«, stimmte Angie zu.
»Seien wir froh, dass wir in Connecticut immer noch die Todesstrafe haben. Eins sag ich Ihnen, wenn diesen Mädchen irgendwas zustößt, melde ich mich freiwillig, um diesen Schweinen, die das gemacht haben, die Todesspritze zu geben.« Er schüttelte den Kopf. »Tja, wir können wohl nur
beten, dass sie heil wieder nach Hause kommen. Angie, was kann ich für Sie tun?«
Angie standen Schweißperlen auf der Stirn. Sie kramte umständlich in ihrer Handtasche herum, tat, als suche sie etwas, dann zuckte sie die Schultern. »Nicht viel, glaube ich. Anscheinend hab ich das Rezept zu Hause liegen gelassen.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang die Erklärung wenig überzeugend.
»Ich kann Ihren Arzt anrufen.«
»Ach, vielen Dank, aber der wohnt in New York. Ich weiß, dass er jetzt nicht da ist. Ich werde ein anderes Mal wiederkommen.«
Sie musste an das eine Mal denken, als sie hier gewesen war, um die Salbe für Clints Schulter zu besorgen. Sie hatte sich ein paar Minuten mit Julio unterhalten und zufällig erwähnt, dass sie mit Clint im Country Club im Hausmeisterhaus wohne. Das war mindestens sechs Monate her, und trotzdem hatte sich Julio sofort an ihren Namen erinnert. Würde er sich auch daran erinnern, wo sie wohnte? Ganz bestimmt!
Julio war ein hoch gewachsener, südländisch aussehender Typ, ungefähr in ihrem Alter. Er trug eine ziemlich auffällige Brille, die seine Augen betonte. Sie bemerkte, wie er mit einem kurzen Blick den Inhalt ihres Einkaufswagens musterte.
Alles lag offen da. Baby-Aspirin. Nasentropfen für Kinder. Franzbranntwein. Der Verdampfer.
Wird er sich darüber wundern, dass ich lauter Sachen für ein krankes Kind kaufe, fragte sich Angie und versuchte, den beängstigenden Gedanken gleich wieder zu verscheuchen. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie wollte nur noch ihren Auftrag erledigen und schnell wieder nach Hause fahren. Ich werde ein Fläschchen Wick Vaporub kaufen und ein bisschen davon in den Verdampfer tun, dachte sie. Als ich klein war, hat das auch immer gewirkt.
Sie eilte zurück zu Gang 3, nahm ein Fläschchen Wick aus dem Regal und ging rasch weiter zu den Kassen. Eine Kasse war geschlossen, vor der anderen stand eine Schlange von sechs Leuten. Zunächst ging es rasch voran, doch nach dem dritten Kunden rief die Frau an der Kasse: »Ich hab jetzt Feierabend. Einen Moment, gleich kommt jemand anders.«
Blöde Kuh, dachte Angie, als die neue Kassiererin eine Ewigkeit brauchte, um sich hinter ihrer Kasse einzurichten.
Jetzt beeil dich halt, dachte Angie und versetzte unwillkürlich ihrem Einkaufswagen einen Stoß.
Der Typ vor ihr, ein breitschultriger Mann mit einem vollen Einkaufswagen, drehte sich um. Seine Miene war verärgert, doch sie klärte sich sofort zu einem
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