Weil deine Augen ihn nicht sehen
Mensch sich nur sicher sein kann, dass Sie mit dem Verschwinden der Zwillinge nichts zu tun haben«, sagte Carlson. »Gut, der zweite Test mit dem Lügendetektor brachte kein eindeutiges Ergebnis, genauso wenig wie der erste. Aber das lässt sich sicherlich mit Ihrer augenblicklichen seelischen Verfassung erklären. Im Gegensatz zu dem, was man so in Krimis liest oder im Fernsehen sieht, sind Tests mit dem Lügendetektor nicht sehr zuverlässig. Deshalb sind sie vor Gericht auch nicht als Beweismittel zugelassen.«
»Was wollen Sie mir damit sagen?«, fragte Margaret beinahe gleichgültig. Was spielt das für eine Rolle, dachte sie. Als sie die Tests gemacht haben, hab ich die Fragen kaum verstanden. Das waren alles nur leere Worte. Vor einer Stunde hatte Steve darauf bestanden, dass sie ein Beruhigungsmittel einnahm, das ihr der Arzt verschrieben hatte. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass sie eine von den Pillen geschluckt hatte. Eigentlich hätte sie alle vier Stunden eine nehmen sollen, aber sie konnte dieses verschwommene Gefühl, das sie davon bekam, nicht ertragen. Auch jetzt hatte sie Mühe, sich auf das zu konzentrieren, was der FBI-Agent sagte.
»Bei beiden Tests hat man Sie gefragt, ob Sie die Person kennen, die für die Entführung verantwortlich ist«, wiederholte
Walter Carlson geduldig. »Als Sie mit Nein geantwortet haben, zeigte der zweite Test eine Lüge an.« Er machte eine abwehrende Geste, als er sah, dass sie protestieren wollte. »Margaret, hören Sie. Wir wissen, dass Sie nicht gelogen haben. Aber es besteht die Möglichkeit, dass Sie jemanden unbewusst verdächtigen, etwas mit der Entführung zu tun zu haben, und das könnte die Testergebnisse beeinflussen, obwohl Sie sich darüber nicht im Klaren sind.«
Draußen wird es dunkel, dachte Margaret. Es ist sieben Uhr. In einer Stunde wird Franklin Bailey vor dem Time Warner Building stehen und darauf warten, dass jemand Kontakt zu ihm aufnimmt. Wenn die Geldübergabe funktioniert, werde ich vielleicht heute Abend meine beiden Kleinen wiedersehen.
»Margaret, hör zu«, ermahnte sie Steve.
Sie hörte, wie der Wasserkessel zu pfeifen anfing. Rena Chapman war gekommen, beladen mit einer Auflaufform voller überbackener Makkaroni sowie frisch gebackenem Virginia-Schinken. Wir haben so tolle Nachbarn, dachte sie. Ich hatte noch gar nicht richtig Gelegenheit, sie kennen zu lernen. Wenn wir unsere Kinder wiederhaben, werde ich sie alle einladen, um mich bei ihnen zu bedanken.
»Margaret, ich möchte, dass Sie sich noch einmal die Akten einiger Leute ansehen, die Sie verteidigt haben«, sagte Carlson. »Wir haben drei oder vier herausgesucht, die Ihnen nach ihrer Verurteilung die Schuld daran gegeben haben, dass sie ihren Prozess verloren haben.«
Margaret zwang sich, sich auf die Namen ihrer ehemaligen Mandanten zu konzentrieren. »Ich habe mich nach besten Kräften bemüht, sie zu verteidigen. Die Beweismittel gegen sie waren erdrückend«, sagte sie. »Sie waren alle schuldig, und ich habe einen günstigen Deal mit der Staatsanwaltschaft ausgehandelt, falls sie sich schuldig bekennen würden, doch sie haben das abgelehnt. Später, als sie beim Prozess verurteilt wurden und längere Strafen bekamen, als
wenn sie den Deal akzeptiert hätten, war ich plötzlich die Schuldige. Das erlebt man ziemlich häufig, wenn man als Pflichtanwältin arbeitet.«
»Nach seiner Verurteilung hat Donny Mars sich in seiner Zelle erhängt«, beharrte Carlson. »Bei seiner Beerdigung soll seine Mutter nach Aussagen von Zeugen geschrien haben: ›Irgendwann wird diese Frawley auch erleben, was es heißt, ein Kind zu verlieren.‹«
»Das war vor über vier Jahren, bevor die Zwillinge geboren wurden. Sie war völlig außer sich«, sagte Margaret.
»Gut, vielleicht war sie völlig außer sich, aber sie ist seitdem von der Bildfläche verschwunden, ebenso wie ihr anderer Sohn. Könnte es nicht möglich sein, dass Sie sie im Verdacht haben, ohne sich dessen bewusst zu sein?«
»Sie war völlig außer sich«, wiederholte Margaret ruhig. Sie wunderte sich, dass ihre Stimme so sachlich klang. »Donny war manisch-depressiv. Ich habe den Richter gedrängt, ihn in ein Krankenhaus einweisen zu lassen. Er war ein Fall für die Psychiatrie. Sein Bruder hat mir einen kurzen Brief geschrieben, worin er sich für die Worte seiner Mutter entschuldigte. Sie hatte es nicht so gemeint.« Sie schloss für eine Weile die Augen, dann öffnete sie sie langsam wieder.
»Das war das
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