Weil deine Augen ihn nicht sehen
Gedanke ging ihr im Kopf herum, als sie zur Arbeit fuhr, und er beschäftigte sie noch, als sie ihren Mantel aufhängte und sich die rote Haarmähne kämmte, die auf dem windigen Parkplatz zerzaust worden war. Sie steckte sich ihr Schild an, auf dem zu lesen stand: WILL-KOMMEN BEI ABBY’S – MEIN NAME IST LILA. Dann ging sie in das winzige Zimmer, in dem sich die Buchhaltung befand.
»Ich möchte nur kurz meine Verkäufe von letztem Mittwoch durchsehen, Jean«, erklärte sie der Buchhalterin. Ich kann mich nicht an den Namen der Frau erinnern, die nach Kleidern für Zwillinge gefragt hat, dachte sie, aber die Quittung erkenn ich wieder. Sie hat jeweils zwei gleiche Latzhosen und Polohemden gekauft, dazu Unterwäsche und Socken. Schuhe hat sie nicht gekauft, weil sie keine Ahnung hatte, welche Größe die richtige sein könnte.
Nachdem sie fünf Minuten die Quittungen durchgegangen war, hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Die Quittung für die Kleider war von einer gewissen Mrs. Clint Downes unterschrieben, und sie hatte eine Visa-Kreditkarte benutzt. Soll ich Jean bitten, bei Visa anzurufen und nach ihrer Adresse zu fragen? Lila zögerte. Nein, das wäre ja albern, entschied sie und beeilte sich, in die Verkaufsräume zu gelangen.
Doch nachdem sie ihr komisches Gefühl, dass irgendetwas an der Sache nicht stimmte, nicht los wurde, ging sie später doch wieder zur Buchhalterin und fragte sie, ob sie die Adresse der Frau herausfinden könne, die Kleider für dreijährige Zwillinge gekauft habe.
»Aber gern, Lila. Wenn sie Schwierigkeiten machen und die Adresse nicht rausrücken wollen, sage ich einfach, dass die Frau vermutlich ein Paket bei uns liegen gelassen hat.«
»Danke, Jean.«
Bei Visa wurde Mrs. Clint Downes unter der Adresse Orchard Avenue 100 in Danbury geführt.
Lila, die jetzt noch unsicherer war, was sie tun sollte, erinnerte sich, dass an diesem Abend Jim Gilbert, ein pensionierter Polizeibeamter von Danbury, bei ihrer Mutter zum Abendessen eingeladen war. Ihn würde sie um Rat fragen.
Als sie nach Hause kam, hatte ihre Mutter mit dem Abendessen auf sie gewartet. Sie und Jim saßen im Wohnzimmer bei einem Cocktail. Lila goss sich ein Glas Wein ein und setzte sich an den Rand des Kamins, mit dem Rücken zum Feuer. »Jim«, sagte sie, »bestimmt hat Mutter Ihnen erzählt, dass ich diese blauen Samtkleidchen an Margaret Frawley verkauft habe.«
»Ja, davon hab ich gehört.« Immer wieder war Lila von Jims tiefer Baritonstimme überrascht. Sie schien nicht zu seiner schmalen Gestalt zu passen. Seine liebenswürdige Miene verdüsterte sich, als er fortfuhr: »Eine üble Geschichte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihre beiden Töchter nie mehr wiedersehen werden, weder tot noch lebendig. Ich vermute, dass sie bereits außer Landes sind und dieses ganze Gerede über Lösegeld nur ein Ablenkungsmanöver ist.«
»Jim, ich weiß, es klingt verrückt, aber am selben Tag, an dem Margaret Frawley die Kleider für die Mädchen gekauft hat, habe ich eine Frau bedient, die nach Kleidung für dreijährige Zwillinge gefragt hat und anscheinend keine Ahnung hatte, welche Größe passend sein könnte.«
»Ja, und?«
Lila wagte den Vorstoß. »Ich meine, wäre es nicht denkbar, dass diese Frau etwas mit der Entführung zu tun hat und diese Kleider gekauft hat, weil sie voraussah, dass man sie benötigen würde? Die Frawley-Zwillinge trugen Schlafanzüge, als man sie entführt hat. In diesem Alter kleckern Kinder noch ziemlich viel. Man kann sie schlecht fünf Tage lang in denselben Sachen lassen.«
»Lila, jetzt geht Ihre Fantasie mit Ihnen durch«, sagte Jim Gilbert nachsichtig. »Was meinen Sie, wie viele Hinweise in dieser Art die Polizei von Ridgefield und das FBI schon erhalten haben.«
»Der Name der Frau ist Mrs. Clint Downes, und sie wohnt in der Orchard Street 100, hier in Danbury«, beharrte Lila. »Ich hätte nicht übel Lust, hinzufahren und unter irgendeinem Vorwand zu klingeln, zum Beispiel, dass eines der Polohemden aus einem Stapel mit mangelhafter Ware stammen würde. Nur um meine Neugier zu befriedigen.«
»Lila, lassen Sie die Finger davon. Ich kenne diesen Clint Downes. Das ist der Hausmeister, der in dem Häuschen im Klub wohnt. Orchard Street 100 ist die Adresse des Klubs. War die Frau dünn, mit einem Pferdeschwanz, und sah ein bisschen schlampig aus?«
»Ja.«
»Das ist Clints Freundin, Angie. Vielleicht unterschreibt sie mit Mrs. Downes, aber sie ist nicht Mrs. Downes.
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