Weil deine Augen ihn nicht sehen
damit wir uns auf ein Bierchen treffen.«
Das darf nicht wahr sein, dachte Angie. Gus, dieser Idiot – der hatte gerade noch gefehlt. Die Geräusche im Hintergrund ließen darauf schließen, dass er sich im Danbury Pub befand. Von wegen »ich weiß immer, wann ich aufhören muss«, dachte Angie, der sein schwerer Zungenschlag nicht entgangen war. Dennoch musste sie vorsichtig sein. Sie erinnerte sich, dass Gus auf der Suche nach Gesellschaft einmal völlig unangemeldet vor der Tür stand.
»Hi, Gus«, sagte sie. Sie bemühte sich, freundlich zu klingen. »Hat Clint dich nicht angerufen? Eigentlich hab ich es ihm ausgerichtet. Na ja, er fühlte sich ziemlich mies gestern Abend und ist früh ins Bett gegangen.«
Aus dem Schlafzimmer hörte sie Kathy weinen, ein lautes, verzweifeltes Heulen. Weil sie zum Telefon gerannt war,
hatte sie in der Eile vergessen, die Tür zum Schlafzimmer richtig zu schließen. Sie versuchte noch, den Hörer mit der Hand zu bedecken, doch es war schon zu spät.
»Das ist wohl das Kind, das du hüten musst, was? Ich glaube, es ist am Heulen.«
»Ja, das ist das Kind. Ich muss mal nach ihm sehen. Clint ist weg, um sich ein Auto anzugucken, das irgend so ein Typ in Yonkers verkauft. Ich sag ihm, er soll sich morgen Abend mit dir auf ein Glas treffen, kannst dich drauf verlassen.«
»Ihr könntet ein neues Auto gebrauchen. Diese alte Klapperkiste, in der man euch rumfahren sieht, fällt ja bald auseinander.«
»Ja, das stimmt. Gus, du hörst ja, das Kind weint. Morgen Abend mit Clint, hundertprozentig, okay?«
Angie wollte gerade auflegen, doch noch bevor die Verbindung unterbrochen wurde, hatte Kelly, die jetzt auch wach geworden war, angefangen zu schreien: »Mommy, Mommy!«
Würde Gus bemerken, dass zwei Kinder weinten, oder war er dazu schon zu betrunken, fragte sich Angie voller Sorge. Sie würde sich nicht wundern, wenn er gleich wieder anriefe. Er hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu reden, so viel war sicher. Sie ging ins Schlafzimmer. Beide Mädchen standen jetzt im Bett, klammerten sich an die Gitterstangen und riefen nach ihrer Mutter. Wenigstens einer von euch beiden werd ich das Maul stopfen, dachte Angie. Sie holte eine Socke aus der Kommode, um sie Kelly um den Mund zu binden.
30
FBI-AGENT ANGUS SOMMERS hielt das Handy ans Ohr, während er, ebenso wie sein Kollege Ben Taglione, der am Steuer saß, den vor ihm fahrenden Wagen keine Sekunde aus den Augen ließ, den Wagen, in dem Franklin Bailey saß. Als sie das Logo vom Excel Driving Service gesehen hatten, hatte Sommers sofort Kontakt zur Telefonzentrale des Unternehmens aufgenommen. Wagen 142 war auf den Namen Bailey angemietet worden, die Vorauszahlung war über seine American-Express-Karte erfolgt. Als Fahrtziel war das Brooklyn Museum angegeben worden, dort sollte ein weiterer Fahrgast abgeholt werden, und danach sollte es zum Pierre Hotel an der Sixty-first Street, Ecke Fifth Avenue gehen. Das klingt mir zu glatt, hatte Sommers geäußert, und seine Kollegen hatten ihm zugestimmt. Dennoch war ein rundes Dutzend FBI-Agenten bereits auf dem Weg zum Museum, und einige weitere würden demnächst vor dem Pierre Hotel Posten beziehen.
Wie ist dieser Kater Karlo an die Nummer von Baileys Kreditkarte gekommen, fragte sich Sommers. Das dunkle Gefühl, dass jemand aus dem Umfeld der Familie hinter der Entführung steckte, wurde ihm immer mehr zur Gewissheit. Aber im Moment hatte er andere Sorgen. Zunächst mussten sie die Mädchen frei bekommen. Danach würden sie sich auf die Täter konzentrieren.
Fünf weitere Fahrzeuge mit FBI-Agenten verfolgten den Wagen mit Bailey. Auf dem West Side Drive ging es zeitweise nur im Schritttempo vorwärts. Derjenige, der jetzt irgendwo am geplanten Treffpunkt auf die Geldübergabe mit Bailey wartet, könnte langsam nervös werden, dachte Sommers sich insgeheim. Eine große Sorge trieb ihn und seine Kollegen um. Die Übergabe musste unbedingt erfolgen, bevor die Entführer in Panik gerieten und sich zu irgendwelchen Kurzschlusshandlungen hinreißen ließen. Dann konnte das Leben der Zwillinge unmittelbar in Gefahr geraten.
In Höhe der Stelle, wo sich einmal die Ausfahrt vom West Side Highway zum World Trade Center befunden hatte, geriet die Ursache des stockenden Verkehrs in Sicht. Durch einen Auffahrunfall waren zwei Fahrbahnen blockiert. Als sie es schließlich geschafft hatten, die ineinander verkeilten Fahrzeuge zu umfahren, floss der Verkehr wieder sehr viel schneller.
Sommers
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