Weil deine Augen ihn nicht sehen
beugte sich vor und spähte angestrengt durch die Windschutzscheibe, um die schwarze Limousine, eine von vielen schwarzen Autos, die im Regen alle ähnlich aussahen, nicht aus den Augen zu verlieren.
Immer drei Autos zwischen sich und der Excel-Limousine lassend, folgten sie ihr um die Spitze von Manhattan herum und weiter Richtung Norden auf dem Franklin D. Roosevelt Drive. Die Brooklyn Bridge, deren Lichter im windgepeitschten Regen nur schwach funkelten, geriet in Sicht.
Und dann, bei der South Street, scherte der Excel-Wagen plötzlich links aus und verschwand in der Ausfahrt. FBI-Agent Taglione fluchte leise vor sich hin und versuchte noch, auf die linke Fahrbahn zu kommen, aber es war bereits zu spät. Ein dicker Geländewagen befand sich schon auf gleicher Höhe mit ihnen, und er hätte ihn unweigerlich gerammt.
Sommers ballte die Fäuste, als auch schon sein Handy klingelte. »Wir sind immer noch hinter ihnen«, berichtete FBI-Agent Buddy Winters. »Er fährt jetzt wieder Richtung Norden.«
Inzwischen war es halb zehn.
31
DR. SYLVIA HARRIS umarmte die schluchzende Margaret Frawley. In solchen Situationen sind Worte nicht nur unangebracht, dachte sie, sie sind auch einfach zwecklos. Über Margarets Schulter hinweg traf ihr Blick auf den von Steve. So schmal und bleich wirkte er verwundbar und jünger als seine einunddreißig Jahre. Man sah ihm an, dass er selbst gegen die aufkommenden Tränen ankämpfen musste.
»Sie müssen einfach heute Abend wieder zu Hause sein«, flüsterte Margaret mit gebrochener Stimme. »Wir werden Sie heute wiedersehen, das weiß ich genau!«
»Wir brauchen Sie, Sylvia.« Steves Stimme klang erstickt. Mit sichtlicher Mühe fügte er hinzu: »Auch wenn die Entführer sie gut behandelt haben, müssen sie ja völlig verängstigt und verstört sein. Und Kathy hat einen schlimmen Husten.«
»Ja, das hat Margaret mir erzählt, als sie mich angerufen hat«, sagte Sylvia leise.
Walter Carlson sah ihre besorgte Miene und meinte, ihre Gedanken erraten zu können. Nachdem Dr. Harris Kathy schon einmal wegen Lungenentzündung behandelt hatte, musste sie befürchten, dass ein schwerer Husten, gegen den nichts unternommen wurde, gefährlich für ihre kleine Patientin werden konnte.
»Ich habe im Arbeitszimmer Feuer gemacht«, sagte Steve. »Ich schlage vor, dass wir uns dort zusammensetzen. Das
Problem bei den alten Häusern ist, dass mit der Warmluftheizung die meisten Zimmer entweder zu warm oder zu kalt werden, je nachdem, wie man den Thermostat eingestellt hat.«
Carlson begriff, dass Steve versuchte, Margaret von ihren zunehmenden Befürchtungen abzulenken. Seitdem sie Dr. Harris angerufen und sie gebeten hatte, herzukommen, hatte sie mehrfach die Überzeugung geäußert, dass Kathy schwer krank sei. Vorhin hatte sie am Fenster gestanden und gesagt: »Wenn die Kidnapper die Kinder nach der Lösegeldübergabe einfach irgendwo im Regen aussetzen, wird Kathy bestimmt eine Lungenentzündung bekommen.«
Danach hatte Margaret Steve gebeten, ihr das Tagebuch aus dem Schlafzimmer zu bringen, das sie seit der Geburt der Zwillinge führte. »Ich hätte diese Woche etwas hineinschreiben sollen«, hatte sie Carlson mit träger Stimme erklärt. »Ich meine, wenn sie wieder da sind, werde ich vielleicht so glücklich und erleichtert sein, dass ich erst einmal versuchen werde, alles zu vergessen. Ich möchte aufschreiben, wie es ist, wenn man gezwungen ist, zu warten.« Dann hatte sie gedankenverloren hinzugefügt: »Als ich klein war, hatte meine Großmutter so eine Redewendung. Immer wenn ich es nicht erwarten konnte, bis Weihnachten oder mein Geburtstag war, sagte sie zu mir: ›Das Warten kommt einem gar nicht mehr so lang vor, wenn es einmal vorbei ist.‹«
Als Steve mit dem ledergebundenen Tagebuch gekommen war, hatte Margaret einige Auszüge daraus laut vorgelesen. In einer der ersten Passagen stand, dass Kathy und Kelly im Schlaf die Hände gleichzeitig geöffnet und wieder geschlossen hatten. In einem anderen Eintrag ging es um einen Vorfall, der sich im letzten Jahr zugetragen hatte. Kathy war gestolpert und mit dem Knie gegen die Kommode im Schlafzimmer gestoßen. Kelly, die sich in der Küche befand, hatte sich im gleichen Augenblick ans Knie gegriffen, ohne erkennbaren Grund. »Die Anregung, dieses Tagebuch zu
führen, kam von Dr. Harris«, hatte sie erklärend hinzugefügt.
Carlson entschuldigte sich und verließ das Arbeitszimmer. Er ging zurück in das Esszimmer, wo das
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