Weil deine Augen ihn nicht sehen
und Steve wohl gesagt, dass Josh begeistert gewesen wäre, die Zwillinge mit mir zusammen zu betreuen und zu beobachten.
Sie hatte Steve und Margaret von ihrem verstorbenen Mann erzählt und ihnen gesagt, die Art, wie sie miteinander umgingen, erinnere sie an die Beziehung zwischen Josh und ihr, als sie frisch verheiratet waren. Die Frawleys hatten sich beim Jurastudium kennen gelernt. Sie und Josh hatten gemeinsam an der Columbia University Medizin studiert. Der Unterschied bestand darin, dass die Frawleys die Zwillinge bekommen hatten, während sie und Josh nicht das Glück erleben durften, Kinder zu haben. Nach ihren Jahren als Assistenzärzte hatten sie gemeinsam eine kinderärztliche Praxis eröffnet. Mit zweiundvierzig Jahren hatte Josh ihr eines Tages eröffnet, dass er sich in letzter Zeit ständig müde fühle. Tests hatten dann ergeben, dass er unheilbar an Lungenkrebs erkrankt war, ein Schicksalsschlag, über den Sylvia nur deshalb ohne Verbitterung hinwegkam, weil ihr starker Glaube ihr dabei half.
»Ich hab nur ein einziges Mal erlebt, dass er richtig unangenehm zu einer Patientin wurde, und das war, als eine Mutter in die Praxis kam, deren Kleider deutlich nach Zigarettenrauch rochen«, hatte sie Steve und Margaret erzählt. »Josh hat sie mit scharfer Stimme angeherrscht: ›Sie rauchen, wenn Ihr Baby in der Nähe ist? Ist Ihnen eigentlich klar, wie gefährlich das für Ihr Kind sein kann? Sie müssen auf der Stelle aufhören.‹«
Im Fernsehen hatte Margaret gesagt, sie befürchte, dass Kathy sich erkältet habe. Dann war die Aufnahme mit den Stimmen der Zwillinge zu hören gewesen, und eine der beiden hatte schwer gehustet. Kathy könnte ziemlich leicht eine Lungenentzündung bekommen, dachte Sylvia. Dass die Kidnapper sie zu einem Arzt bringen würden, stand nicht zu erwarten. Vielleicht sollte ich bei der Polizei von Ridgefield
anrufen, sagen, ich sei die Kinderärztin der Zwillinge, und nachfragen, ob man die Fernsehstationen nicht dazu bewegen könnte, einige Ratschläge an die Kidnapper in ihren Sendungen auszustrahlen für den Fall, dass Kathy eine fiebrige Erkältung hat.
Ihr Telefon klingelte. Einen Augenblick lang war sie geneigt, einfach den Anrufbeantworter laufen zu lassen, doch dann nahm sie den Hörer auf. Es war Margaret, eine Margaret, deren Stimme fast wie in Trance klang.
»Dr. Harris. Die Lösegeldübergabe soll in diesem Augenblick über die Bühne gehen, und wir glauben, dass wir irgendwann in der nächsten Zeit unsere beiden Mädchen wiedersehen werden. Wäre es Ihnen möglich, zu uns zu kommen und mit uns zu warten? Ich weiß, dass ich ziemlich viel von Ihnen verlange, aber wir wissen nicht, wie es um die Gesundheit der beiden steht. Ich weiß nur, dass Kathy einen schlimmen Husten hat.«
»Ich bin schon unterwegs«, antwortete Sylvia Harris. »Ich brauche nur noch jemanden, der mir den Weg zu Ihrem Haus beschreibt.«
28
DAS HANDY, DAS Franklin Bailey in der Hand hielt, klingelte. Mit zitternden Fingern klappte er es auf und presste es ans Ohr. »Franklin Bailey«, sagte er unsicher.
»Mr. Bailey, ich gratuliere, Sie sind wirklich bemerkenswert pünktlich.« Die Stimme klang wie ein heiseres Flüstern. »Gehen Sie jetzt sofort die Eighth Avenue hinunter zur Fifty-seventh Street. Biegen Sie nach rechts in die Fifty-seventh und gehen Sie westlich bis zur Ninth Avenue. Warten Sie an der nordwestlichen Ecke. Wir überwachen jeden Ihrer Schritte. Ich werde Sie in genau fünf Minuten wieder anrufen.«
FBI-Agent Angus Sommers war mit zerschlissener und verschmutzter Kleidung als Obdachloser getarnt und hockte auf dem Bürgersteig, den Rücken an eine architektonische Kuriosität gelehnt, die früher einmal das Huntington Hartford Museum beherbergt hatte. Neben ihm stand ein verbogener Einkaufswagen, der mit Plastikfolie abgedeckt und mit alten Kleidern und Zeitungen gefüllt war und ihm etwas Deckung gegen einen möglichen Beobachter bot. Wie bei den anderen Agenten, die sich in der Nähe befanden, war sein Handy darauf programmiert worden, den erwarteten Anruf des Mannes, der sich Kater Karlo nannte, zu empfangen. Jetzt sah er zu, wie Franklin Bailey die Gepäckkarre hinter
sich her über die Straße zerrte. Selbst aus der Entfernung konnte Sommers erkennen, dass Bailey seine Mühe mit den schweren Koffern hatte und dass der strömende Regen rasch seine Kleidung durchnässte.
Mit zusammengekniffenen Augen suchte Sommers die Umgegend des Columbus Circle ab. Hatten sich
Weitere Kostenlose Bücher