Weil deine Augen ihn nicht sehen
weiter fort … Und weder Frömmigkeit noch Klugheit … wird wegwaschen ein einzig Wort«, rezitierte er.
Das Zitat stimmt nicht ganz, aber so ungefähr ging das Gedicht, überlegte er.
Wie konnte ich nur so dumm sein? Wie konnte mir das rausrutschen, fragte er sich. Wie konnte ich nur von Theresa als »meiner verstorbenen Gattin« sprechen?
Die FBI-Agenten hatten sich sofort darauf gestürzt. Längst hatten sie es aufgegeben gehabt, ihn über Theresas Verschwinden auszufragen. Jetzt würde alles wieder von vorne anfangen. Aber wenn jemand, der seit sieben Jahren verschwunden ist, legal für tot erklärt werden kann, ist es dann nicht verständlich, von diesem Menschen zu sprechen, als ob er tatsächlich tot sei? Theresa ist immerhin seit siebzehn Jahren vermisst gemeldet.
Eigentlich ist das doch nur zu verständlich.
Es war in Ordnung, wenn er den Ehering trug, den er Theresa gegeben hatte. Sie hatte ihn damals auf dem Nachttisch liegen gelassen. Aber war es nicht gefährlich, den anderen Ring zu tragen, den sie von ihrem zweiten Ehemann erhalten hatte? Er nahm das Kettchen ab, das er um den Hals trug, und betrachtete beide Ringe in seiner Hand. DIE LIEBE IST EWIG war bei beiden Ringen in dünnen Lettern auf der Innenseite eingraviert.
Der, den sie von ihm bekommen hat, ist natürlich mit Brillanten besetzt, dachte Norman neidvoll. Ich habe ihr nur einen einfachen silbernen Ring geschenkt. Mehr konnte ich mir damals nicht leisten.
»Meine verstorbene Gattin«, sagte er laut.
Jetzt, nach all den Jahren, war das FBI wegen der Entführung zweier kleiner Mädchen wieder auf ihn aufmerksam geworden.
Meine verstorbene Gattin!
Es wäre gefährlich, sich aus C.F.G.&Y. zurückzuziehen und ins Ausland abzusetzen – zu abrupt, außerdem stand es in Widerspruch zu allen Plänen, die er öffentlich verkündet hatte.
Um zwölf Uhr fiel ihm auf, dass er immer noch in Unterwäsche dasaß. Theresa hatte sich immer fürchterlich über so etwas aufgeregt. »Leute, die etwas auf sich halten, sitzen nicht in Unterwäsche herum, Norman«, pflegte sie ihn in verächtlichem Ton zurechtzuweisen. »Das tut man einfach
nicht. Entweder du trägst einen Morgenmantel, oder du ziehst dich an. Eins von beiden.«
Sie hatte geweint und geweint, als die Zwillinge zu früh kamen und nicht überlebten, aber nur eine Woche später ließ sie die Bemerkung fallen: »Vielleicht war es besser so.« Kurz danach verließ sie ihn, zog nach Kalifornien, erwirkte die Scheidung, und innerhalb eines Jahres heiratete sie erneut. Er hatte zufällig mitgehört, wie einige Angestellte bei C.F.G.&Y. sich darüber lustig machten. »Der Kerl, den sie sich jetzt geangelt hat, ist aus einem anderen Holz geschnitzt als der arme Norman«, hatte einer von ihnen gesagt.
Der Gedanke ließ ihn immer noch zusammenzucken.
Nach der Hochzeit hatte er zu Theresa gesagt, er würde eines Tages Vorstandsvorsitzender von C.F.G.&Y. werden.
Inzwischen wusste er natürlich, dass dieser Vorsatz nie Wirklichkeit werden würde, und es war ihm auch nicht mehr wichtig. Auf das Aufreibende, das dieser Job mit sich brachte, konnte er verzichten, und das Geld brauchte er inzwischen auch nicht mehr. Aber die Ringe trage ich weiter, dachte er, als er sich das Kettchen wieder um den Hals legte. Sie geben mir die Kraft, weiterzumachen. Sie erinnern mich daran, dass ich nicht nur der scheue Mensch bin, der außer Arbeit nichts kennt, für den mich die meisten anderen halten.
Ein Lächeln huschte über Normans Gesicht, als er sich erinnerte, mit welchem Ausdruck maßlosen Entsetzens Theresa ihn angestarrt hatte, als sie sich an jenem Abend umdrehte und ihn auf der Rückbank erblickte.
60
»DIESE SCHUHE SIND zu groß«, sagte Angie, »aber das ist mir jetzt egal.« Sie hatte vor dem McDonald’s geparkt, gleich neben dem Einkaufszentrum, wo sie die Schuhe gekauft hatte, und jetzt band sie Kathy die Schnürsenkel zu. »Denk daran, dass du den Mund hältst, und wenn dich jemand nach deinem Namen fragt, dann sagst du, du heißt Stevie. Kapiert. Los, sag es einmal für mich.«
»Stevie«, flüsterte Kathy.
»So ist es gut. Und jetzt komm.«
Die Schuhe taten Kathy auf andere Weise weh als die ersten, die Angie für sie gekauft hatte. Es war schwierig, in ihnen zu laufen, weil ihre Füße keinen Halt darin fanden und die Fersen ständig herauszurutschen drohten. Aber Angie zog sie so schnell hinter sich her, und außerdem hatte sie Angst, ihr das zu sagen.
Sie spürte, wie ihr Fuß
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