Weil du fehlst (German Edition)
verschlang geradezu geisterhafte Mengen Sprit. Ich drosselte mein Tempo, fuhr an einem altmodischen Krämerladen vorbei, der irgendwie beruhigend und anheimelnd aussah und neben dessen Eingangstür ein Schild lehnte, auf dem in schnörkeligen Lettern Willkommen in Fairview stand, und erreichte endlich die New Hampshire Road. Sie schien um das Ende der Halbinsel herumzuführen.
Und was, wenn Rabeas Eltern überhaupt nicht da waren? Wenn sie verreist waren? Mein Herz klopfte plötzlich zum Zerspringen, während ich mit zitternden Fingern weiterfuhr. Ich warf einen Blick auf den Kilometerzähler. Wahnsinn: Ich war tatsächlich fast fünfhundert Meilen gefahren! Ich alleine! Der Chevy tuckerte jetzt ergeben durch einen Kiefernwald. Ich fuhr langsam, weil es inzwischen ganz und gar dunkel war und ich Angst hatte, eventuell in ein Tier hineinzufahren, das die Straße überqueren würde.
Da, Nummer 427! Es stand an einem hölzernen Briefkasten am Straßenrand. Das letzte Haus der Straße, wie es schien, und die Auffahrt? Sie war so knapp bemessen, dass ich Mrs Wards Wagen kaum einparken konnte. Praktisch gleich dahinter stand das Haus.
Ich schluckte hastig, verschluckte mich, musste husten und würgte dabei den Motor ab. Das fing ja gut an. Um ein Haar wäre ich gegen das Auto meiner Großeltern gestoßen, das sich ebenfalls hier, schräg geparkt, gegen den Straßenrand quetschte.
Wie es weiterging :
Ein winziges Haus. Drumherum hohe, winterkahle Birken. Verharschter Winterwaldboden. Rote, geschlossene Fensterläden. Eine kleine, verglaste Veranda. – Und: Licht!
Ich klopfte, und auf einmal war mir schwindelig und fast übel vor Erschöpfung. Ich ging auf wackeligen, weichen Beinen und schwankte, gerade als die Tür aufging. Und dann: Kassandra Armadillo, fast achtzehn, taumelt zur Tür herein und fängt an zu heulen wie ein Kleinkind.
AMANDA: Kassandra! Gott sei Dank bist du gut angekommen!
Sie hatten es gewusst. Sie hatten gewusst, dass ich unterwegs zu ihnen war. Oya hatte Rabea erklären müssen, warum ich den ganzen Tag über verschwunden war. Und nachdem sie es zuerst mit einer Lüge (»Ich glaube, sie ist bei Darius oder so. Vielleicht auch bei Selma …«) versucht hatte, war sie gegen Abend eingeknickt und hatte Rabea erzählt, wohin ich wirklich unterwegs war. Und Rabea hatte dann ebenfalls via Internet die neue Adresse ihrer Eltern herausgefunden und dort angerufen, nachdem sie es vorher immer wieder vergeblich auf meinem Handy probiert hatte.
AMANDA: Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht! So eine lange Strecke! Und du hast doch noch kaum Fahrpraxis! Wahnsinn ist das, Kassandra, Wahnsinn! Und dann auch noch einfach ein Auto nehmen, das dir nicht gehört! Du bist völlig unversichert gefahren!
IAN: Nun schrei doch nicht so und lass sie erst einmal richtig reinkommen.
(Ian sieht aus wie Rabea in alt. Verblüffend, so eine Ähnlichkeit! Sogar ein Duplikat ihres Strichmundes findet sich in seinem strengen Gesicht.)
AMANDA: Hast du Hunger? Bist du sehr erschöpft? Du siehst ja völlig geschafft aus, Liebes.
Sie versorgten mich mit viel heißem Tee, frisch arrangierten, leckeren Truthahnsandwiches, einem Tomatensalat und hinterher mit Schokomuffins.
AMANDA: Besser jetzt?
Ich nickte und lehnte mich zurück.
ICH: Ihr habt tatsächlich mit Rabea gesprochen?
Amanda seufzte, und Ians Linienmund wurde noch eine Spur dünner.
AMANDA: Ach, Kind …
IAN: Gesprochen? Dazu könnte man jetzt eine Menge sagen. Man kann es aber auch lassen. Ich denke, wir lassen es lieber, über deine Mom zu sprechen. Das führt doch nur zu Streit und Ärger.
AMANDA: Ian, lass doch gut sein.
Sie sahen sich mit beredetem Schweigen an, und dann wechselte Amanda das Thema. Während sie mich dies und das fragte, über mich, Oya, Schule, Zukunftspläne und so weiter, machte sie mir mein Bett für die Nacht in der verglasten Veranda.
AMANDA: Wir haben nicht sehr viel Platz, wie du siehst. Ich hoffe, es ist dir nicht zu eng. Wir quartieren alle unsere Gäste hier ein. Und eigentlich schlafen alle sehr gut.
Sie lächelte mir zu, und in diesem Moment erinnerte sie mich an Oya. Meine Schwester konnte nicht nur unserem Vater ähnlich sehen, Amanda Fish mendelte in ihr ebenfalls deutlich sichtbar durch.
ICH (zurücklächelnd): Das Haus ist wirklich schön.
(Siehe: meine Gedanken zu Besitztümern , in diesem Fall eine wunderschöne, anheimelnde Küche aus weiß gebeiztem Holz, ein leichter Duft nach Zedernholz und Leinöl in
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