Weil du mich fesselst
Geschäftsführer.«
Womöglich hatte Gerard gehofft, ihr mit diesem Kompliment von Ian zu schmeicheln, denn sein Lächeln geriet ins Stocken, als er ihre Reaktion sah. Sie stand abrupt auf.
»Kann ich mir den Entwurf des Vertrags einmal mitnehmen?«
»Natürlich, Lin hat das bereits vorbereitet«, antwortete Gerard, der nun ebenfalls aufgestanden war. Er war fast ebenso groß wie Ian. »Aber wir – das heißt James, Anne und ich – wollten Ihnen vorschlagen, die nächsten Tage bei uns zu verbringen. So könnten Sie uns leichter erreichen, als wenn Sie bei jeder Frage versuchen müssten, uns ans Telefon zu bekommen. Wir könnten ein paar Nachtschichten einlegen und uns gemeinsam durch den Vertrag ackern.«
»Könntest du dir denn ein paar Tage von der Malerei freinehmen?«, wollte Anne wissen. Francesca zögerte, als sie in die kobaltblauen Augen der älteren Dame blickte. Ian hatte die Augen seiner Großmutter. »Wir würden so gerne ein bisschen Zeit mit dir verbringen. James und ich, wir vermissen dich.«
»Ich vermisse euch auch«, erwiderte Francesca ehrlich, noch bevor sie sich selbst stoppen konnte. Sie bewunderte die polierte Holzmaserung des Tisches, während sie darauf wartete, ihre Fassung wiederzuerlangen.
»Ich glaube, ich kann es für ein paar Tage einrichten«, sagte sie kurz darauf. »Ich habe gerade ein Bild beendet, das der Käufer seiner Frau zu Weihnachten schenken möchte. Ich hatte ohnehin vor, bis Neujahr ein paar Tage freizumachen.«
»Du musst uns alles über deine Arbeit erzählen und wie dein letztes Schulprojekt lief. Ich freue mich schon darauf, von allem in deinem Leben zu erfahren. Wir müssen über so vieles sprechen, ganz abgesehen von dem Geschäftlichen«, sagte Anne mit einem warmen Ton in der Stimme, kam zu ihr herüber und ergriff ihre Hand. Aus einem Impuls heraus umarmte Francesca sie und freute sich über den vertrauten Duft von Annes Parfum.
»Das würde mich freuen«, sagte sie.
»Schön. Das hätten wir dann also verabredet. Warum lassen wir uns die Unterlagen jetzt nicht von Lin geben und gehen dann ins Penthouse? Wir könnten zusammen essen«, schlug Gerard vor.
»Ins Penthouse?« Francesca war wie betäubt.
»Da wohnen wir alle während unseres Aufenthaltes in Chicago. Ich hoffe, das ist in Ordnung?«, ergänzte James versöhnlich. »Ich weiß, dass Ian dir die Benutzung seiner Immobilien vermacht hat, aber wir haben erfahren, dass du hier gar nicht wohnst. Und Anne meinte … also … nun, dass sie dich nicht erreichen konnte, um mit dir unsere Pläne abzustimmen«, fuhr er unbeholfen fort. Francesca spürte, wie ihr die Wärme in die Wangen stieg, als sie diese freundliche Umschreibung der Tatsache vernahm, dass sie Telefonanrufe ignoriert und E-Mails von Ians Großeltern gelöscht hatte. » Eleanor hat uns gebeten, hier zu wohnen, statt in einem Hotel«, ergänzte er noch und bezog sich damit auf Mrs. Hanson, die schon seit Langem eine Stütze der Familie und loyale Freundin der Nobles war. »Die Arme. Sie streift wohl ziemlich alleine hier durch die großen Räumlichkeiten. Ihr fehlt die Familie. Du fehlst ihr.«
Francesca fühlte sich unbehaglich. Es war furchtbar von ihr gewesen, Mrs. Hanson nicht besucht, ja nicht einmal angerufen zu haben. Sie wusste, wie sehr die Haushälterin an Ian hing. Sie war sicherlich schrecklich einsam.
»Ich freue mich darauf, sie wiederzusehen«, antwortete Francesca, deren Herz raste. Als ihr Blick auf Lucien fiel, wurde ihr klar, dass er ihre Beklemmung gespürt hatte.
»Kommst du auch mit, Lucien?«, wollte sie hoffnungsvoll wissen.
»Leider nicht. Elise kommt heute Nachmittag von einem Besuch bei ihren Eltern in Paris zurück.«
»Bitte grüße sie von mir«, sagte Francesca bedauernd, auch weil sie an die vielen besorgt klingenden E-Mails von Luciens lebhafter, wunderschöner Frau dachte, die sie gelöscht hatte. Francescas Freundin. Als hätte sich ein Schleusentor geöffnet, strömte mit einem Mal ein Schmerz durch sie hindurch. Sie war noch nicht einmal bei der Hochzeit von Elise und Lucien gewesen.
»Das werde ich.« Luciens Stirn war in Falten gelegt. Er konnte ihr plötzliches Elend erkennen, kam zu ihr und nahm ihre Hand.
»Lucien, es tut mir leid …«, hob sie mit zerbrechlicher Stimme an, als er sie zur Seite genommen hatte.
»Das muss es nicht. Ich kann dich verstehen. Wir alle können das«, unterbrach er sie ruhig. Er schaute zu den anderen hinüber, die sich in einiger Entfernung leise
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