Weil Ich Euch Liebte
Brise, die ein bisschen Herbstlaub von den drei Eichen in unserem Garten pflückte, war es hier draußen ganz still. Als sei die Welt, zumindest vorübergehend, zur Ruhe gekommen.
Die vergangenen Wochen waren die Hölle gewesen, aber die letzten fünfzehn Stunden hatten uns mitgerissen wie ein Strudel. Die gescheiterte Übernachtung, Kellys Geschichte über die belauschten Anrufe, Fionas unerwarteter Besuch und ihr unerwünschter Vorschlag, was Kellys Schule anging. Und das alles überschattet von Ann Slocums Tod.
Heiliger Strohsack.
»Was sagst du dazu, Sheila?«, sagte ich laut und schüttelte den Kopf. »Was, zum Teufel, sagst du dazu?«
Zwei kleine Mädchen, die in die gleiche Klasse gehen und innerhalb weniger Wochen ihre Mutter verlieren. Und Kelly hatte mich gebeten herauszufinden, was Emilys Mutter zugestoßen war. Ich wollte zwar nicht wirklich aktiv etwas in diese Richtung unternehmen, aber neugierig war ich trotzdem. Konnte es ein Herzinfarkt gewesen sein? Ein Aneurysma? Irgendwas vollkommen Unerwartetes, das sie von einer Sekunde auf die andere dahingerafft hatte? Hatte sie einen Unfall gehabt? War sie die Treppe hinuntergestürzt? War sie in der Dusche ausgerutscht und hatte sich das Genick gebrochen?
Würden seine Gefühle für Ann Darren Slocum bald genauso herumtreiben wie mich meine für Sheila? Würde Zorn die Trauer in den Hintergrund drängen? Vielleicht würde das auf jeden Fall geschehen, egal, wie seine Frau ums Leben gekommen war. Hätte Sheila der Schlag getroffen und sie wäre sofort gestorben, wäre ich vielleicht genauso wütend, aber meine Wut ginge in eine andere Richtung. Statt Sheila zu fragen, was sie sich eigentlich dabei gedacht hatte, würde ich mir diese Frage für den Alten Mann da oben aufheben.
»Ich versteh’s immer noch nicht, Sheila«, sagte ich. »Wie hast du das hinbekommen? Wie konntest du so ein Problem geheim halten?«
Keine Antwort.
»Ich hab zu tun.« Ich schüttete den Rest meines Kaffees ins Gras und ging zurück ins Haus.
Ich beschloss, den Tag zu nutzen. Kelly war versorgt, ich könnte also ins Büro fahren und Dinge erledigen, zu denen ich die Woche über nicht gekommen war. Ich könnte aufräumen, Sägeblätter wechseln, mich vergewissern, dass niemand Werkzeug hatte mitgehen lassen. Ich könnte den Anrufbeantworter abhören, vielleicht sogar einige Leute zurückrufen. Dann hätte Sally Montagmorgen nicht so viel zu tun. Höchstwahrscheinlich waren es hauptsächlich Kunden, die nachfragten, warum die Arbeiten bei ihnen nicht zügiger vorangingen. Es gab nicht viele Projekte, die wir nach Zeitplan abwickeln konnten, sosehr wir uns auch bemühten. Die verschiedenen Handwerker unter einen Hut zu bringen – Installateure, Fliesenleger, Elektriker, um nur einige zu nennen – hat was von Dominosteine legen. Schafft man es, sie in der richtigen Zeit in die richtige Ordnung zu bringen, dann ergibt sich eines aus dem anderen. Nur leider kommt das nie vor. Material wird nicht wie versprochen geliefert. Leute werden krank. Man wird zu anderen Projekten zurückgerufen, die man schon für abgeschlossen hielt.
Man tut, was man kann.
Ich stellte gerade meine Kaffeetasse in die Spülmaschine, da hörte ich vor dem Haus eine Autotür zuschlagen. Ich ging nach vorne. Den weißen Pick-up, der quer am Ende der Einfahrt parkte, erkannte ich sofort. »Elektro Theo« stand auf der Tür, und Theo selbst, ein drahtiger Typ Mitte dreißig, der mich mit seinen eins fünfundachtzig um zehn Zentimeter überragte, zwängte sich gerade hinter dem Lenkrad heraus.
Eine Sekunde später ging auch die Beifahrertür auf, und Sally stieg aus. Sally war achtundzwanzig. Sie hatte dunkelblondes Haar und war grobknochig, aber nicht dick. In der Highschool war sie eine gute Turnerin und Leichtathletin gewesen. Inzwischen war sie zwar nicht mehr ganz die frühere Sportskanone, lief jedoch noch immer jeden Morgen ihre fünf Kilometer und packte schon mal beim Abladen eines Pick-up voller Kanthölzer mit an, wenn Not am Mann war.
Sie war ein paar Zentimeter größer als ich und sagte im Spaß gern, dass sie, sollte sie kein anständiges Weihnachtsgeld bekommen, sich an mir schadlos halten würde. Nicht, dass ich es gerne zugab, aber dieses Jahr standen ihre Chancen nicht schlecht.
Sie hatte ein hübsches Gesicht und ein einnehmendes Lächeln und arbeitete schon fast zehn Jahre bei mir. Als sie sich mit zwanzig ein bisschen was dazuverdienen wollte, kam sie oft zu uns zum Babysitten. Doch
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