Weil ich Layken liebe
ihm vorgeht und ob er mit dem, was zwischen uns passiert ist, tatsächlich ganz abgeschlossen hat. Auch zu Hause kann ich an nichts anderes denken, gehe immer wieder zum Fenster, spähe verstohlen zur anderen Straßenseite hinüber und stelle mir vor, was er wohl gerade macht.
Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass es wahrscheinlich auch nichts gebracht hätte, in den Kurs für Russische Literatur zu wechseln. Dann hätte ich mich nach derSchule nur umso mehr beeilt, vor ihm nach Hause zu kommen, um ihn vom Wohnzimmerfenster aus zu beobachten. Gott, das alles zermürbt mich so. Wenn ich nur wüsste, wie ich ihn für immer aus meinem Kopf und meinem Herzen verbannen könnte. Vielleicht sollte ich ihn bitten, mir sein Geheimrezept zu verraten – ihm scheint es ja ganz gut zu gelingen.
»Keine Angst, für morgen sollt ihr bloß etwa zehn Zeilen schreiben. Im Laufe der nächsten Wochen können wir uns dann an längeren Texten versuchen, damit ihr vorbereitet seid, wenn ihr zum Poetry-Slam geht«, sagt Will. »Glaubt nicht, ich hätte unsere Abmachung vergessen, Leute. Bis jetzt habe ich noch keinen von euch im Club gesehen.«
In der Klasse kommt Unruhe auf. »Ich hatte das aber anders verstanden«, meldet sich Gavin. »Eigentlich war ja nur die Rede davon, dass wir uns den Slam ansehen, und nicht, dass wir selbst teilnehmen sollen.«
»Das müsst ihr auch nicht«, beruhigt Will ihn. »Ich will nur, dass jeder aus dem Kurs wenigstens einmal bei einem Poetry-Slam gewesen ist. Allerdings könnte es durchaus passieren, dass ihr als Opferlamm ausgesucht werdet, weshalb es nichts schaden kann, einen Text parat zu haben.«
» Opferlamm? Was soll das denn sein?«, fragt jemand aus der Klasse entsetzt.
Nachdem Will erklärt hat, dass es sich dabei um einen Zuschauer handelt, der willkürlich ausgewählt wird, ein Stück vorzutragen, ruft Eddie: »Okay, aber was ist, wenn wir bei dem Slam mitmachen wollen ?«
Will denkt einen Moment nach. »Ich mache euch einenVorschlag. Jeder aus dem Kurs, der am Slam teilnimmt, muss den Abschlusstest am Ende des Halbjahres nicht mitschreiben.«
»Perfekt. Ich bin dabei«, sagt Eddie grinsend.
»Und wenn wir es zeitlich nicht schaffen, zu diesem Poetry-Slam zu gehen, was ist dann?«, will Javi wissen.
»Dann verpasst ihr die Chance auf ein einzigartiges Erlebnis und bekommt ein Ungenügend in Mitarbeit«, antwortet Will.
Javi verdreht stöhnend die Augen.
»Geben Sie uns Themen vor?«, fragt Eddie.
Will steht auf, geht um sein Pult herum und setzt sich auf die Tischplatte, was bedeutet, dass er jetzt nur noch einen knappen halben Meter von mir entfernt ist. Obwohl ich ihn nicht einmal ansehe, kann ich seine Nähe geradezu körperlich spüren.
»Ihr dürft schreiben, worüber ihr wollt. Über die Liebe, über Dinge, die ihr gern macht, über euer Lieblingsessen oder etwas besonders Schönes oder Schreckliches, das ihr erlebt habt. Von mir aus könnt ihr euch auch darüber auslassen, wie sehr ihr den Typen hasst, der an eurer Schule Lyrik unterrichtet. Das Wichtigste ist, dass ihr euch ein Thema aussucht, das euch emotional beschäftigt. Wenn das Publikum in dem, was ihr vortragt, keine Leidenschaft spürt, wenn es euch nicht spürt, kann es auf der Bühne ganz schön unangenehm werden.« Er klingt, als würde er aus persönlicher Erfahrung sprechen.
»Dürfen wir auch über Sex schreiben?«, fragt Javi. »Oder muss der Text jugendfrei sein?« Es ist offensichtlich, dass erprovozieren will, aber Will lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Noch mal: Ihr dürft schreiben, worüber ihr wollt. Das heißt, solange ihr damit keinen Ärger mit euren Eltern bekommt.«
»Und wenn die uns nicht erlauben, zu diesem Slam zu gehen?«, meldet sich ein Mädchen aus einer der hinteren Reihen. »Ich meine, das Ganze findet doch in einem Club statt, in den Minderjährige normalerweise gar nicht reindürfen, oder?«
»Falls eure Eltern deswegen Bedenken haben, bin ich gern bereit, mit ihnen zu sprechen. Wenn ihr kein eigenes Auto und keine Mitfahrgelegenheit habt, kann ich mir von der Schule einen Kleinbus leihen und euch hinbringen. Ich bin mir sicher, dass sich sämtliche Probleme lösen lassen. Das Thema Slam-Poetry liegt mir sehr am Herzen, und ich betrachte es als Teil meines Lehrauftrags, dafür zu sorgen, dass ihr selbst einmal einen Slam erlebt. Okay, aber jetzt möchte ich, dass ihr euch auf die heutige Aufgabe konzentriert. Ihr habt noch die gesamte Stunde Zeit, euren Text
Weitere Kostenlose Bücher