Weil ich Layken liebe
solche Sorgen um mich gemacht, dass es zu viel für sein Herz war.« Sie schiebt den Block von sich, steht auf und geht ins Wohnzimmer. Dort drückt sie die Stirn ans Fenster und sieht in den Garten.
Ich folge ihr. »Aber warum hast du es mir nicht gesagt? Ich hätte dir doch helfen können, Mom. Du hättest nicht alleine damit klarkommen müssen.«
Sie dreht sich um und lehnt sich ans Fensterbrett. »Das weiß ich jetzt auch. Ich habe einfach alles verdrängt. Ich war so wütend. Vielleicht habe ich auch auf ein Wunder gehofft. Ich weiß es nicht. Aus Tagen wurden Wochen und schließlich Monate. Tja. Aber jetzt sind wir ja hier und ich werde behandelt. Vor drei Wochen habe ich wieder mit der Chemotherapie begonnen.«
»Aber das ist doch gut, oder? Wenn du eine Chemo bekommst, heißt das doch, dass sie daran glauben, dass der Krebs sich behandeln lässt, oder?«
Mom schüttelt den Kopf. »Nein, Lake. Die Medikamentesind nicht dazu da, den Krebs zu bekämpfen, sondern um meine Schmerzen erträglich zu halten. Das ist alles, was die Ärzte noch für mich tun können.«
In dem Moment, in dem mir klar wird, was das bedeutet, beginne ich am ganzen Körper zu zittern und meine Knie werden weich. Ich lasse mich auf die Couch sinken, schlage die Hände vors Gesicht und fange hemmungslos an zu weinen.
Meine Mutter hat sich neben mich gesetzt und einen Arm um meine Schulter gelegt, jetzt hält sie mir eine Packung Taschentücher hin. Ich putze mir die Nase, atme tief durch und zähle langsam von zehn bis eins. Dann umarme ich Mom und halte sie ganz fest. Es tut mir so unendlich leid für sie. Für uns. Ich klammere mich an sie wie eine Ertrinkende. Am liebsten würde ich sie nie mehr loslassen.
Irgendwann beginnt sie rasselnd zu husten und muss sich wegdrehen. Der Anfall wird immer schlimmer und schließlich steht sie auf, krümmt sich und ringt nach Luft. Gott, sie ist so krank. Wie ist es möglich, dass ich das die ganze Zeit über nicht bemerkt habe? Ihr Gesicht ist noch schmaler geworden und ihre Haare hängen dünn und kraftlos herunter. Sie ist kaum wiederzuerkennen. Ich schäme mich so. Meine Gedanken sind die ganze Zeit über so sehr um mich und meine eigenen Probleme gekreist, dass ich nicht gesehen habe, wie meine Mutter vor meinen Augen immer weniger wird.
Endlich ist der Hustenanfall vorbei und sie setzt sich wieder neben mich. »Heute Abend sage ich es Kel. Brenda kommt um sieben vorbei. Sie will dabei sein und das ist auch gut so, weil wir besprochen haben, dass ich sie zu seinem gesetzlichenVormund ernenne, damit er bei ihr aufwachsen kann.«
Ich lache ungläubig. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
»Doch.« Sie sieht mir fest in die Augen. »Du gehst noch zur Schule, Lake, und danach sollst du studieren. Ich würde niemals von dir erwarten, das alles aufzugeben, um dich um deinen kleinen Bruder zu kümmern. Brenda hat selbst Kinder großgezogen. Ich vertraue ihr. Sie möchte diese Verantwortung gern übernehmen und Kel kommt gut mit ihr klar.«
Ich bin fassungslos. Ist ihr überhaupt bewusst, was sie da sagt? Ich habe vor etwas mehr als sieben Monaten meinen Vater verloren, meine Mutter hat mir gerade eröffnet, dass sie sterben wird, und jetzt soll mir auch noch mein Bruder weggenommen werden?
Mir schießen die Tränen in die Augen. Plötzlich schlägt meine Stimmung komplett um und statt Trauer packt mich eine solche Wut, dass ich nicht mehr klar denken kann. »Das lasse ich nicht zu!«, brülle ich. »Kel bleibt bei mir, hörst du? Ich lasse nicht zu, dass er bei einer Fremden aufwachsen muss! Wir kennen Brenda kaum!«
Meine Mutter legt mir beruhigend die Hände auf die Schultern, aber ich reiße mich los und stürme zur Tür.
»Lake! Bitte, hör mir zu! Du gehst zur Schule und bist selbst noch ein halbes Kind. Was soll ich denn tun? Wie stellst du dir das vor? Es ist ein großes Glück, dass Brenda da ist. Wir haben doch sonst niemanden.« Sie läuft mir hinterher. » Ich habe sonst niemanden, Lake.«
Ich reiße die Tür auf und drehe mich noch einmal zu ihr um. »Ich möchte nicht, dass du es ihm heute Abend sagst«,stoße ich schluchzend hervor. »Bitte sag es ihm nicht, Mom! Er muss es jetzt noch nicht wissen.«
»Aber wir müssen es ihm doch sagen«, ruft sie, während sie mir nach draußen hinterherläuft.
»Nein, Mom!«, schreie ich sie unter Tränen an. »Wenn du das tust, wenn du Kel Brenda überlässt, dann …«
Ich renne über die Straße zu Will, flüchte ins Haus und
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