Weil sie sich liebten (German Edition)
Zimmer
frei geworden waren, und hatte eines dieser begehrenswerten Luftschlösschen
bekommen.
Er hatte sich nicht vorgestellt, dass er für den Anfang seines
Berichts so lange brauchen würde, aber er hatte tatsächlich große
Schwierigkeiten mit dem ersten Satz. Der erste Satz bestimmte, wie ihm klar
geworden war, nicht nur den Ton einer Geschichte, sondern auch die Art und
Weise, wie sie sich entwickelte, und seine ersten Fehlstarts hatten ihn
eingeschüchtert. Schließlich hatte er sich für einen sachlichen Ton
entschieden, der ein Vorher und ein Nachher erwarten ließ, und hatte, um nun endlich
vorwärtsschreiben zu können, beschlossen, sich mit dieser Entscheidung zufriedenzugeben.
Mike hatte Silas Quinney und seine Familie vier Jahre vor dem
Vorfall, der den Kern seiner Geschichte bildete, unter ungewöhnlichen Umständen
kennengelernt. Er war bei einer Konferenz für Sekundarschulleiter am
Middlebury- College gewesen. Im Nachhinein betrachtet hätte er direkt nach
Hause fahren sollen, denn für den Abend waren überfrierende Nässe und Schnee
angesagt. Aber als das letzte Seminar zu Ende war und er endlich Zeit hatte, um
gemütlich durch die kleine Stadt mit ihren Cafés, Bars und guten Restaurants zu
bummeln, konnte er nicht widerstehen. Statt sich in seinen rostroten Volvo zu
setzen und Richtung Süden zu fahren, ging er in den Ort – kein weiter Weg – und
streifte mit einem Gefühl von Ungebundenheit, das ihm in seinem Posten selten
vergönnt war, durch die schmalen Straßen. Viel Privatleben hatte ein Schulleiter
nicht. Abgesehen davon, dass er zwei Geschichtskurse gab – zum französischen
Widerstand während des Zweiten Weltkriegs und zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung –, bei Schulversammlungen sprach, alle, aber wirklich alle Heimspiele der Schulmannschaften besuchte, ganz gleich, wie bescheiden das Team
war (denn man musste ja auch die Schüler der unteren Klassen ermutigen), und
von Zeit zu Zeit mit den Schülern in der Kantine zu Mittag aß, wohnte er in
einem Haus, das sich praktisch mitten auf dem Schulgelände befand, sodass sein
Kommen und Gehen unter ständiger Beobachtung standen. Es war Mike nicht
entgangen, dass es in Neuengland eine moralische Verpflichtung war, abends die
Vorhänge offen zu lassen, vor allem im Erdgeschoss; sobald es dunkel wurde und
Licht gemacht werden musste, konnte also jeder Vorüberkommende sehen, was er
und Meg taten. Mike wusste nicht genau, warum dieser Brauch, der zweifelsohne
ein Relikt calvinistischer Moral des siebzehnten Jahrhunderts war, sich gerade
hier gehalten hatte, er schien jedenfalls in Neuengland, ganz im Gegensatz zu
New York etwa, oberstes Gebot zu sein. Das Positive an dieser Sitte war
natürlich, dass einem, wenn man abends spazieren ging, interessante Einblicke
in das Leben anderer beschert wurden. Es war ein bevorzugter Zeitvertreib von
Mike, abends durch einen Ort zu bummeln, in die Fenster fremder Häuser zu
schauen und sich vorzustellen, wer die Menschen dahinter waren und was sie
taten. Immer, hatte er festgestellt, schien ein Zuhause von außen betrachtet gefälliger.
Es kam häufig vor, dass er sich wünschte, die Bewohner dieses oder jenes
Herrenhauses würden ihn zu einem Glas Wein am offenen Kamin einladen.
An jenem Abend, dem Abend, an dem er die Quinneys kennenlernte,
hatte Mike seinen kleinen Stadtbummel gemacht, danach etwas gegessen (und ein
Glas einheimisches Bier dazu getrunken) und dann die Rückfahrt nach Avery
angetreten, das eine Stunde südlich von Middlebury lag. Entgegen den Warnungen
der Wettervorhersage sahen die Straßen gut aus. Es schneite sporadisch, aber da
die Flocken schmolzen, sobald sie den Asphalt berührten, störten ihn die kurzen
Schauer nicht. Er war sich allerdings eines ›Blitzeis‹ genannten Phänomens
bewusst, das jedem bekannt war, der im Norden Neuenglands zu Hause war. Wer es
einmal erlebt hatte, gleich, ob als Fußgänger oder Autofahrer, den gruselte es
danach schon bei seiner bloßen Erwähnung. Es hieß Blitz eis,
weil es sich blitzartig zeigte. Aber eigentlich zeigte es sich gar nicht. Es
sah aus wie ein Nässefilm auf der Straßendecke, sichtbare eisige Stellen gab es
nicht, und im Allgemeinen merkte man erst, wie heimtückisch dieser scheinbar
harmlose Belag war, wenn man plötzlich bremsen musste oder scharf um eine Ecke
biegen wollte. Gerüchte von Blitzeis konnten einem abendlichen Fest innerhalb
von Minuten ein Ende bereiten und eine Warnung bei Tag veranlasste
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