Weil sie sich liebten (German Edition)
Sohn.
Was möchte ich Müttern von Söhnen sagen? Irgendetwas fehlt diesen
Jungen, und ich weiß nicht, was es ist. Wenn ihr das Gefühl habt, dass es ein
Problem gibt, dann gibt es auch ein Problem. Lasst ihnen nicht einmal die erste
kleine Lüge durchgehen. Seid wachsam.
Natalie
S ie sollten mal sehen, wie sie in die
Kantine reinstürmen, diese Jungs, Riesenbrocken, denen es gar nicht schnell
genug gehen kann. Wenn die hier reinkommen, sind sie wie Tiere, die ihr Futter
haben wollen. Sie nehmen sich vier, fünf Hamburger, verlangen Extraportionen
Pommes und hauen sich dann noch mindestens fünf Stück Kuchen rein. In Avery
kann man so viel essen, wie man will. Ich hab Typen gesehen, die haben sechs,
sieben Gläser Milch runtergekippt. Ich kenn kaum einen, der Gemüse isst. Ich
weiß nicht, wieso wir uns überhaupt die Mühe machen. Das Essen ist gut hier.
Wir haben die Salattheke, den Joghurteisautomaten und den Grill. Man bekommt
jedes Sandwich, das man haben will. Bei uns gibt’s auch »Italienische Nacht«,
»Mexikanische Nacht« und so. Die verdrücken sieben, acht Tacos auf einen Sitz.
Ich kenn diese Jungs seit der neunten Klasse. Außer J. Dot. Der ist nur für ein
Zusatzjahr hier.
Die Kleine hab ich nicht so gut gekannt. Die Mädchen essen nicht.
Und wenn doch, dann tun sie’s heimlich. Die peilen immer direkt die Salattheke
an. Ich bin hinter der Theke mit den Hauptgerichten. Wir haben hier zwar eine
Kleiderordnung, aber ich kann Ihnen sagen, diese Mädels, die ziehen sich an wie
die Schlampen mit ihren bauchfreien Tops und den kurzen Röcken, die kaum über
den Hintern reichen. Ich frag mich, wie die Jungs – die Lehrer übrigens genauso – da ihre Hosen zuhalten können. Es ist wie in O. C.,
California .
Ich hab Silas und seine Eltern gut gekannt. Wir sind alle in
dieselbe Kirche gegangen. Sie waren gute Katholiken. Owens Familie lebt seit
bestimmt drei Generationen hier in Avery.
Anna war eine erstklassige Mutter. Ich hab immer gewusst, wenn ich meine
Kinder zum Spielen da rüberschicke, werden sie gut betreut. Man brauchte sich
nie Sorgen zu machen wie bei manchen anderen Müttern am Ort – ich meine, bei
denen, die getrunken haben. Solche gibt’s immer.
Rob habe ich gern gehabt. Er hat sich immer bedankt. Sonst bedankt
sich kaum jemand. Und J. Dot, der war immer für einen Lacher gut. Der wollte
überall im Mittelpunkt stehen. Wenn irgendwo laut gelacht wurde, war’s
garantiert an dem Tisch, an dem J. Dot gesessen hat.
Aber wenn’s in der Schule einen gegeben hat, der von zu Hause die richtigen
Werte mitbekommen hatte, dann war das Silas.
Ich geb der Kleinen keine Schuld. Für mich haben die Reporter die
Schuld. Manche von denen würde ich am liebsten umbringen, so übel, wie sie den
Jungs mitgespielt haben.
Mike
I m April wurde Silas Quinney zum Beginn
des nächsten Schuljahres im Herbst an der Avery Academy angenommen. Mike war zu
diesem Zeitpunkt von der Küche der Quinneys ins Esszimmer vorgestoßen, da er
sich bemüßigt gefühlt hatte, die Formalitäten, die mit der Anmeldung und der
Bewerbung um finanzielle Unterstützung einhergingen, zu beschleunigen und Anna
und Owen die Formulare persönlich zur Unterschrift überbrachte. Silas kannte er
mittlerweile ganz gut, er war ihm mehrmals bei seinen Eltern begegnet und hatte
sich eines seiner Basketballspiele mit seiner derzeitigen Schulmannschaft
angesehen. Wie vorausgesehen, war Coach Blount ganz begeistert von der Aussicht,
Silas in sein Team aufzunehmen, und Mike hatte allmählich das Gefühl, dass er
sowohl der Avery Academy als auch der Familie Quinney einen Riesengefallen
getan und den Schaden, den sein Volvo mit unerwünschter Hilfe von Mutter Natur
angerichtet hatte, mehr als wiedergutgemacht hatte.
Er schätzte Silas als einen ruhigen, nachdenklichen Jungen, der eine
Menge von dem besaß, was Mike gern Charakter nannte,
ein Wesenszug, der seit einigen Jahren weit weniger hoch im Kurs zu stehen
schien als Leistung . Ob dies eine Folge der
religiösen Erziehung war, die der Junge genossen hatte – die Quinneys waren
gläubige Katholiken –, konnte Mike nicht sagen. Im Aussehen schlug der Junge
seinem Vater nach, auch wenn er bis jetzt noch nicht einmal den Ansatz eines
verschmitzten Lächelns um die Augen zeigte. Dass sich das in der Zukunft ändern
würde, war schwer vorstellbar. Silas schien das Leben, wenn auch nicht
unbedingt sich selbst, sehr ernst zu nehmen, was ihn zum perfekten Schüler und
zum idealen Spieler
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