Weil sie sich liebten (German Edition)
den Weihnachtsferien, er war damals in der
vorletzten Klasse, kam er betrunken nach Hause. Ich hatte auf ihn gewartet und
saß im Bademantel in der Küche. Sobald er hereinkam, schnappte ich ihn mir und
sagte, er sei ja betrunken. Ich konnte es riechen, außerdem nuschelte er
hörbar. Er wurde aggressiv und bestritt, getrunken zu haben.
Daraufhin weckte ich meinen Mann und bat ihn, nach unten zu kommen
und sich die Sache selbst anzusehen. Matthew befahl James, zu Bett zu gehen.
Wir würden uns morgen darüber unterhalten.
Am nächsten Morgen hatte James einen fürchterlichen Kater. Als wir
ihm mitteilten, dass er bis zum Ende der Ferien nicht mehr weggehen dürfe,
sagte er, er sei unglücklich, wir hätten sein Leben verpfuscht. Er hasse Easton
und halte es dort kaum aus.
Heute erkenne ich klar, dass es von James nichts als Taktik war, uns
einzureden, wir hätten sein Leben verpfuscht. Genial.
Im Januar seines vorletzten Schuljahres kam eigens ein Scout von der
Gonzaga-Universität aus Spokane nach Easton, um sich James anzusehen. Das Basketballteam
gewann in dem Jahr jedes Spiel. Mein Sohn machte zwanzig, dreißig Punkte pro
Spiel. Er sei ein Phänomen, sagte man uns.
James aus Easton zurückzuholen, war nicht einmal mehr eine
Möglichkeit. Wenn sie ihm bei der Gonzaga ein volles Stipendium boten, spielten
die Noten dann eine so große Rolle?
Die Zeugnisse blieben schlecht. James sei ein begabter Junge, aber
er erledige seine Arbeit nicht. Ich dachte, er habe vielleicht von Anfang an
Probleme mit Ordnung und Organisation gehabt, und dass ich ihn hätte
untersuchen lassen sollen, als er noch jünger war.
Ich hätte mehr für ihn tun können, sagte ich mir. Ich hätte ihm
vielleicht helfen können.
Im Herbst seines letzten Schuljahres bekam mein Sohn ein
verbindliches Angebot von der Gonzaga-Universität. Es war ein großartiges
Angebot, das nichts zu wünschen übrig ließ. Wir feierten bei uns zu Hause. Mein
Mann und ich tranken Champagner. Mein Mann bot meinem Sohn auch ein Glas an.
Im April flog James in Easton von der Schule, weil er auf dem
Schulgelände Marihuana verkauft hatte. Er bestritt den Vorwurf nicht. Mir sagte
er, es sei nur das eine Mal gewesen und er habe es für einen Freund getan, weil
dieser Freund dringend Geld brauchte. Ich sagte ihm, dass ich ihm nicht
glaubte. Ich war wütend, und mein Mann war niedergeschmettert. Unser Sohn hatte
seine Zukunft weggeworfen.
Vielleicht doch nicht, sagte der Universitätsbeauftragte, der uns zu
Haus aufsuchte, nachdem er von dem Schulverweis gehört hatte. Wenn James das
Versäumte in den Sommerferien nachhole und dann noch ein Jahr an eine andere
Schule gehe, werde die Universität das Angebot aufrechterhalten.
Wir rannten uns die Hacken ab, um eine Privatschule für James zu
finden. Es war schon spät im Jahr, zu spät für die normale Anmeldeprozedur. Wir
wollten ihn in unserer Nähe haben, um ein Auge auf ihn haben zu können.
Wir fuhren nach Avery, und dort nahmen sie James innerhalb einer
Woche mit Handkuss. Sie taten zwar so, als hätten sie Bedenken wegen des
Schulverweises und ließen ihn demonstrativ die Aufnahmeprüfung machen, aber man
sah sofort, wie froh und dankbar sie waren, einen Basketballspieler von James’
Kaliber in ihre Mannschaft aufnehmen zu können.
Wir schickten unseren Sohn in eine Therapie. James hielt sich für
klüger als den Therapeuten. Er traue Therapien im Prinzip nicht, erklärte er.
Er glaube nicht an sie, und wenn er nicht an sie glaube, würden sie bestimmt
auch nichts bewirken. Schon im Juli ließ er die ersten Termine platzen.
Lassen wir es doch, meinte mein Mann. Man kann keinen
Achtzehnjährigen zu etwas zwingen, das er nicht will.
In den Sommerferien war James in mehreren Basketballcamps, um sich
auf das kommende Jahr vorzubereiten, es sollte ein ganz tolles Jahr werden und
endlich alles wieder auf den Weg gebracht werden.
Im Herbst fuhren wir mit ihm nach Avery. Ich erkannte meinen Sohn
kaum noch wieder. Er war breit und muskulös, hatte sich einen Bart stehen
lassen und überragte mich um Längen, schon äußerlich ein Zeichen dafür, wie
gering jetzt mein Einfluss auf ihn war. Bevor wir losfuhren, sprach ich mit ihm
allein. Ich sagte ihm, dass ich ihn liebe und niemals aufgeben werde. Am Ende
sagte ich zu ihm: »Man erntet, was man sät.«
Ich habe das verstohlene Lächeln um seinen Mund genau gesehen. Er lacht mich aus , dachte ich.
Im Herbst also fuhren wir nach Avery, und ich verlor meinen
Weitere Kostenlose Bücher