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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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auszusetzen. Übernimm nicht dauernd die Verantwortung für
ihn, sagte mein Mann, dann wird er anfangen, sie selbst zu übernehmen.
    Das schien mir vernünftig.
    Unser Junge ist ein anständiger Kerl, fügte mein Mann hinzu. Hat
jemals ein Lehrer bei uns angerufen? Hat der Direktor sich jemals gemeldet? Hat
von den Eltern irgendwann mal jemand angedeutet …?
    Im Frühjahr beschlossen wir, James auf die Easton Academy zu
schicken, die ist in Connecticut, im Nordwesten. Wir hatten schon eine ganze
Weile überlegt, ihn mit Beginn der Highschool auf ein Internat zu geben, weil
die Schule hier am Ort gar nicht gut ist. Aber als wir James erklärten, was uns
vorschwebte, wurde er rebellisch. Es falle ihm nicht ein, von hier wegzugehen,
sagte er. Was das überhaupt für Eltern wären, die ihre Kinder unbedingt
wegschicken wollten.
    Ich wäre beinahe weich geworden; ich wollte ja eigentlich gar nicht,
dass er wegging. Ich liebte ihn und wollte ihn in meiner Nähe haben. Fern von
mir, bildete ich mir ein, würde er sich bestimmt nicht hinsetzen und lernen.
Ich würde nicht wissen, wie er seine Abende an den Wochenenden verbrachte.
Andererseits fragte ich mich, ob nicht ein Internat, an dem es strenger zuging
als bei uns, ihm guttäte. Ich hatte ihn doch längst nicht mehr im Griff. Wäre
es nicht für alle eine Erleichterung, sagte ich mir, wenn er von zu Hause
fortging und erst einmal zu sich selbst fand?
    James gab schließlich widerwillig klein bei, aber kaum war er in
Easton angekommen, setzte er alles daran, uns zu beweisen, dass unsere
Entscheidung falsch gewesen war. Seine Noten verschlechterten sich. In den
Berichten, die uns die Schule schickte, war von einem Mangel an Ordnung die
Rede, von fehlendem Bemühen. Man bescheinigte James Intelligenz, deutete jedoch
an, dass er sich  vor der Arbeit drückte.
Wir sprachen mit James und wir suchten die Schule auf. Wir setzten uns mit
seinen Lehrern und seinem Betreuer zusammen. Unser Sohn hatte Einträge wegen
Schwänzens von Unterrichtsstunden, Verstößen gegen die Kleiderordnung und wegen
Rauchens. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass unser Sohn je eine Zigarette
geraucht hatte. Als ich James darauf ansprach, behauptete er, er hätte es nur
ein einziges Mal versucht. Ich wollte ihm so gern glauben.
    Er erklärte uns, es gefalle ihm nicht auf der Schule und er möge die
Lehrer nicht. Seinen Betreuer fand er ätzend. Seinen Geschichtslehrer hasste
er.
    Nur sein Basketballtrainer schickte positive Berichte.
    In seinem zweiten Highschool-Jahr wuchs James fast zwanzig
Zentimeter. Im vorletzten Jahr noch einmal fünf. Beim Basketball war er der
herausragende Spieler. Einer von hundert. Einer von tausend, sagte sein Trainer.
Einer der besten Spieler, die Easton je gesehen hatte. Obwohl James immer bei
Stadtmeisterschaften gespielt hatte, hatten wir nie gemerkt, dass er solches
Talent hatte. Ich dachte bei mir, Das ist es. Das wird die
Wendung bringen. Das wird unseren Sohn retten.
    Wenn James ab und zu übers Wochenende oder in den Schulferien nach
Hause kam, schien er ein paar Stunden lang immer ganz verändert, nett und umgänglich,
ein anständiger Junge. Reifer geworden, nicht mehr so unberechenbar. Er
unterhielt sich mit uns, erzählte uns von seinen Vorstellungen und Plänen. Wir
redeten über Basketball, überlegten mit ihm, zu welchen Spielen wir es schaffen
könnten. Da war ich jedes Mal glücklich. Und ich sagte mir, Wir
haben es richtig gemacht. Unser Entschluss, James auf eine Privatschule zu
schicken, war richtig. James wird erwachsen und beginnt, Verantwortung zu
übernehmen. Der Sport hat ihn verändert. Er glaubt an sich selbst.
    Aber nach einer Weile ging James dann auf sein Zimmer und schloss die
Tür. Er kam nur noch zu den Mahlzeiten herunter und wenn er mit seinen Freunden
losziehen wollte. Die Lügerei ging wieder los, und ich entdeckte, dass er jetzt
ein Profi war. Es gab keine logischen Widersprüche mehr. Ich konnte nie sicher
sein, ob er die Wahrheit sagte oder nicht. Es gelang mir nie, ihn zu ertappen. Ich
versuchte es mit diskreten Anrufen, dachte mir irgendwelche Vorwände aus. Und
dann fragte er: Was sollen diese Anrufe? Er
verlangte, später nach Hause kommen zu dürfen, und dann noch später. Ich fragte
jedes Mal: Was kann man denn in diesem Kaff nach Mitternacht
noch unternehmen?
    Ich war ständig unruhig. Es war ein Gefühl, als zermürbte mein Sohn
mich langsam. Erst diese Kleinigkeit, dann die nächste und immer so weiter.
    Eines Nachts in

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