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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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aber gleich
wieder auf und begann umherzugehen. Er dachte an Anna. Er wünschte jetzt, er  hätte ihre Berührung irgendwie erwidert. Ob
sie diese Berührung jetzt wohl bereute? War sie ihr inzwischen vielleicht
peinlich?
    Er hätte sie gern angerufen und es ihr gesagt. Was
denn?, fragte er sich. Dasss sie ihm nicht
gleichgültig war? Dass es ihn wie sie ergriffen hatte? Dass er seine ganze
Willenskraft brauchte, um sie nicht anzurufen?
    Pubertäres Gehabe, sagte er sich, während er vom Wohnzimmer in die
Küche und von dort auf die Veranda ging. Er war verheiratet. Sie war
verheiratet. Er hatte die Familie Quinney zur Avery Academy gebracht. Er
bekleidete ein Amt, das durch eine außereheliche Liebesbeziehung womöglich
gefährdet würde. Sie hatte einen Sohn. Aber Michael merkte erstaunt, wie wenig
Gewicht all diese absolut vernünftigen Gründe hatten, wenn man sie gegen die
paradoxe Verheißung von tröstlicher Wärme und erregendem Risiko setzte. Im Lauf
des Abends – der so wunderbar langsam fortschritt, als wäre die Zeit eigens zu
prüfender Betrachtung stehen geblieben – gewann der Nachmittagsbesuch im Hause
Quinney einen blendenden Glanz, in dem alle Schatten und ehelichen Verpflichtungen
untergingen.
    Mike hatte seine Frau nie betrogen. Er war nie auch nur ernsthaft
versucht gewesen, es zu tun. Irgendetwas, hatte er oft gedacht, passierte
wahrscheinlich mit einem Mann, der ständig von geschlechtsreifen jungen Mädchen
umgeben war: Vielleicht ging da automatisch eine Mauer in die Höhe, die es ihm
ermöglichte, sich schneller als andere Männer gegen die weibliche Verlockung
abzuschirmen. Dass Anna diese Mauer eingerissen hatte und nicht eine achtzehnjährige
Schülerin oder eine dreiundzwanzigjährige Kollegin sprach, fand er, immerhin
für einen Rest  Vernunft.
    Aber es gab da noch Owen. Und Silas. Und Meg. Sie waren da und
ließen sich nicht ignorieren.
    Er ging in die Küche und schenkte sich noch ein Glas Wein ein, wobei
er überrascht feststellte, dass er fast die ganze Flasche ausgetrunken hatte.
    Das Risiko für Anna war enorm.
    Und genauso für ihn.
    Er öffnete sein Handy und gab die Nummer der Quinneys ein. Er hoffte
inständig, dass nicht Silas oder Owen ans 
Telefon gehen würden. Wenn doch, würde er in freundlich sachlichem Ton
nach Anna fragen. Er wolle nur wissen, wie das Treffen verlaufen sei. Von einem
Schulleiter konnte man Interesse am Stand der Eltern-Lehrer-Beziehungen
durchaus erwarten.
    Anna meldete sich selbst.
    »Ich habe Sie vom ersten Moment an gemocht«, sagte Mike ohne
Umschweife.
    Es blieb einen Moment still. Dann sagte Anna: »Sie haben kopfunter
im Auto gehangen«, und es klang, als lächelte sie bei den Worten.
    »Sind Sie allein?«, fragte Mike.
    »Sozusagen.«
    »Ich bin …« Mike wusste nicht, wie er seinen Gemütszustand
beschreiben sollte.
    »Sie haben sehr komisch ausgesehen«, fügte sie hinzu, »wie Sie da
kopfabwärts im Leeren hingen.«
    Mike lächelte. Diese leichtere Seite Annas gefiel ihm. Die Bereitschaft
zu Flirt und scherzhaftem Geplänkel. Er lehnte sich an die Arbeitsplatte und
sah zur Einfahrt hinaus. »Könnte ich jetzt zu Ihnen kommen?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Ist Owen da?« Mike blickte zu seinen Füßen hinunter. Er hatte ein
Loch im Strumpf, rechts an der großen Zehe. Er würde die Socke wegwerfen. Weder
er noch Meg konnten Strümpfe stopfen.
    »Ja.«
    »Kann ich morgen kommen?«
    »Ja.«
    »Um die gleiche Zeit? Um die Flaschen abzuholen?«
    »Wir haben heute Abend eine Menge getrunken«, sagte Anna. »Ich
meine, ich habe heute Abend eine Menge getrunken«, fügte sie hinzu, und er
konnte es ihr anhören. Die Konsonanten waren leicht verschliffen. Er fragte
sich, wie er selbst sich anhörte.
    »Es ist ein enormes Risiko für Sie«, sagte er. Er drehte den Kopf
und drückte die Stirn an den Küchenschrank.
    »Das weiß ich«, sagte sie.
    »Ich habe mich schon lange nicht mehr so gefühlt«, bekannte er.
    Anna schwieg.
    »Fahren Sie einfach jetzt los und treffen Sie sich mit mir«, drängte
er.
    »Das geht nicht.«
    »Okay, dann morgen. Muss Owen weg?«
    »Ja.«
    Mike sah die Scheinwerfer von Megs Wagen, der in die Einfahrt
einbog.
    »Ich muss Schluss machen«, sagte er hastig. Er wollte den Namen Meg nicht aussprechen. »Ich will nicht, aber ich muss.«
    »Bis morgen dann«, sagte Anna.
    Mike schob das Handy ein. Er hätte Meg eine Kleinigkeit zu essen
vorbereiten sollen. Wenn schon keine ordentliche Mahlzeit, dann wenigstens
einen

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