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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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gewesen war, nicht einmal die Schüler der Unterstufe, die zu
besonderen Hoffnungen Anlass gegeben hatten, würde je Gelegenheit bekommen, in
einem Collegeteam Basketball zu spielen. Vier, fünf Typen, auf die vielleicht
eine große Zukunft gewartet hätte, waren komplett kaltgestellt. Selbst wenn die
Mannschaft jetzt einen Neuanfang machte, war es für Jacob Wie-hieß-er-gleich,
der inzwischen in der letzten Klasse war, zu spät, einen Scout auf sich
aufmerksam zu machen. Rasheed hätte gern gewusst, was einer Schule, wenn sie
unter Druck stand, das Recht gab, einer Mannschaft und ihrem Coach so etwas
anzutun, ohne auch nur an eine Entschuldigung zu denken. Bei Rasheed nämlich
hatte sich nie jemand entschuldigt.
    Aber über all das würde er nicht mehr nachdenken, es brachte ihn nur
in Rage. Sobald er in seinem Zimmer zurück war, würde er den Brief von der
Wissenschaftlerin wegwerfen. Ganz gleich, worum es in dem Schreiben ging, es
hatte nichts mehr mit ihm zu tun. Er musste jetzt an anderes denken. Er hatte
zu tun.

Anna
    I ch habe den Brief gesehen. Du hast ihn
auf dem Tisch liegen gelassen. Warum hast du das getan, etwas dagelassen, das
mich an alles erinnern würde? Das ist nicht deine Art. Ich habe ihn gesehen,
als ich hinunterging, um mir Wasser zu holen. Ich brauchte nur ein paar Wörter
zu lesen, um Bescheid zu wissen. Wieder jemand, der über Silas reden will.
    Rufst du sie an, diese Wissenschaftlerin namens Jacqueline?
    Ich liege in meinem Bett und starre an die Decke. Hätte ich doch
den Brief gar nicht gesehen. Wie konntest du so achtlos sein – gerade du, der
du sonst so achtsam bist?  Bist du vom
Telefon gestört worden? Musstest du eilig weg?
    Ich versuche, mir die Zimmerdecke unter dem Verputz
vorzustellen, den Aufbau des Hauses hinter dem Mörtel und dem Anstrich, wie die
unsichtbaren Balken und Bretter zum Giebel aufsteigen. Ich liege auf der blauen
Steppdecke, die ich nach unserer Hochzeit genäht habe. Ich kann mich nicht
erinnern, wie es war, als ich sie machte. Ich möchte mich nicht an die Hochzeit
erinnern.
    An manchen Tagen tue ich nichts anderes als mich erinnern.
    Wir reden nie miteinander, du und ich. Wir sagen vielleicht ein-
oder zweimal die Woche ein paar kurze Worte. Meistens sind es Fragen, oder
Feststellungen. Hast du meine braunen Stiefel gesehen? Ich
habe zum Abendessen einen Hackbraten gemacht.
    Ich stehe auf, schlage die Steppdecke und das Leinentuch zurück
und krieche darunter. Ich drücke das weiche Kissen zusammen und forme es um
meine Haare und mein Gesicht herum. Wirst du der Wissenschaftlerin von der
Universität  Vermont sagen, was du nie
zur Presse, was du nicht einmal zu mir gesagt hast: Es
passierte alles nur wegen meiner Frau?
    Du wirst es nicht tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du so
etwas sagst.
    Aber es ist wahr, und du hast das Recht, es zu sagen. Es ist
alles nur meinetwegen passiert.
    Es ist alles nur passiert, weil ich einen anderen begehrte.
    Wie viel leichter, keine Erinnerungen an das begangene Unrecht
zu haben. An das wiederholt begangene Unrecht. Ich habe aufgehört zu fragen,
warum. Die Frage lässt sich nicht beantworten.
    Ich war einsam und ich begehrte einen anderen.
    Nein, das ist nicht wahr. Ich war nicht einsam. Ich hatte dich und
Silas. Trotzdem begehrte ich einen anderen.
    Es war obszön, dieses Begehren.
    Ich sah zu, wie die Sanitäter ihn aus dem Wagen herausholten,
aus diesem robusten Volvo, der selbst den gewaltigen Kräften des Überschlags
standgehalten hatte. Er wollte aufstehen, aber sie ließen es nicht zu. Ich
beobachtete, wie sie ihn auf eine Trage hoben und in den Rettungswagen schoben.
Es quälte mich, dass ich nicht einmal seinen Namen kannte. Später sah ich seinen
Namen in der Zeitung. Und Gary erzählte mir, dass er an der Schule tätig war.
    Wenn er nicht gekommen wäre, um sich zu entschuldigen und die
angerichteten Schäden wiedergutzumachen, hätte ich ihn dann einfach vergessen?
Wäre dann meine Geste, seinen Arm zu halten, eine dieser Nichtigkeiten im Leben
geblieben, die im Moment süß und bedeutsam scheinen, aber vergessen sind, noch
ehe du wieder im Haus bist?
    An dem Tag, als er ins Haus kam, um die Schäden zu begleichen,
wusste ich, dass ich ihn wiedersehen wollte. Es war eigentlich kein richtiger
Wunsch. Es war eher ein Knäuel von Fragen und Antworten, die alle in eine
bestimmte Richtung zu zielen schienen. Ich bat ihn, die Schule besichtigen zu
dürfen.
    Ich bin dafür verantwortlich, dass Silas auf

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