Weil sie sich liebten (German Edition)
Training heute vorzeitig abgebrochen wurde, weil der Coach zu
einer Sitzung musste, ist der Durst kaum geringer. Vielleicht hat der Junge
vor, zu duschen und dann zu seiner Freundin zu fahren. Vielleicht hat er vor,
mit seiner Freundin in der Schulkantine zu essen. Ohne groß darüber
nachzudenken, wo seine Mutter und der Schulleiter sein könnten – im Wohnzimmer
vielleicht, bei der Durchsicht irgendwelcher Unterlagen – biegt der Junge mit
Schwung um die Ecke und läuft zwei Stufen auf einmal nehmend die steile Treppe
hinauf.
Schreckerstarrt hörte Mike den Jungen ins Bad gehen und pinkeln. Er
hörte, wie er Wasser ins Waschbecken laufen ließ, vielleicht um sich das
verschwitzte Gesicht zu waschen. Er stellte ihn sich in glänzenden
Basketballshorts und einem Baumwollshirt vor und fragte sich, ob er duschen
würde. Wenn ja, konnte er – Mike – den Moment nutzen, um zu verschwinden. Aber
vielleicht war dies für Silas auch nur ein kurzer Boxenstop, und er würde
gleich wieder losfahren.
Er wusste nicht, was sie verraten hatte. Vielleicht die geschlossene Tür des
Gästezimmers.
»Mama?«, rief Silas fragend.
Anna hatte sich schon das Unterkleid übergezogen und sich in Rock
und Pullover hineingewunden. Mike sah, dass sie ihre Schuhe vergessen hatte.
Sie öffnete die Tür des Gästezimmers, trat in den Flur hinaus und
schloss die Tür schnell hinter sich, trotzdem sah Mike flüchtig den schmalen
Ausschnitt eines beunruhigten Gesichts.
Silas’ Stimme war laut. Annas bemüht zu besänftigen. Silas stellte
Fragen. Anna beantwortete sie, so gut sie konnte. Silas fing an, sie
anzuschreien. Anna versuchte, sich zu behaupten.
»Du vögelst dieses Arschloch?«, hörte Mike den Jungen brüllen. » Du vögelst dieses Arschloch ?«
Eine Tür wurde krachend zugeworfen und gleich darauf so heftig
wieder aufgestoßen, dass der Knauf an die Wand knallte.
»Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, schrie Silas immer wieder, und seine
Stimme flog die Treppe hinunter und zur Haustür hinaus, bis Mike sie nur noch
durch das dünne Glas des Gästezimmerfensters vernahm. Er hörte das Aufheulen
von Silas’ Auto, das Knirschen des aufspritzenden Kieses, als es davonbrauste.
Mike zog sich hastig an und trat in den Flur hinaus. Die Tür zum
Schlafzimmer der Quinneys war geschlossen. Vielleicht bildete sich Mike nur
ein, Anna weinen zu hören, weil er sich vorstellte, sie säße auf der Kante des
Ehebetts und hielte die Hände fest in einen gehäkelten Bettüberwurf gepresst.
Sie ist so leise, wie sie nur sein kann. Sie atmet kaum.
Owen
O wen saß da und dachte nach. Diese
Freundin von ihm, diese Noelle, hatte angerufen. Owen hatte die Beunruhigung in
ihrer Stimme gehört. Er saß da und dachte: Vielleicht hatten
sie Krach. Dass Silas nicht zu Hause isst. Direkt in sein Zimmer hinaufgeht.
Vielleicht hatten sie Streit.
Nach dem zweiten Anruf ging Owen nach oben und klopfte bei Silas.
Man musste ihre Privatsphäre respektieren.
Silas reagierte nicht.
Owen öffnete die Tür einen Spalt. Obwohl es dunkel war, konnte er
erkennen, dass sein Sohn die Augen offen hatte. Silas ,
sagte Owen.
Der Junge antwortete nicht. Owen trat ins Zimmer.
Diese Freundin von dir , sagte er. Sie hat angerufen.
Silas schwieg.
Bist du krank ?, fragte Owen.
Silas sagte Nein, aber Owen hörte, hörte es an dem einen Wort, dass
er geweint hatte.
Owen öffnete die Tür ein wenig weiter, um etwas Licht ins Zimmer zu
lassen.
Silas’ Oberlippe war mit Rotz verschmiert und seine Augenlider waren
geschwollen. Owen fragte: Was ist los? Hast du dich mit
diesem Mädchen gestritten?
Owen wusste selbst nicht, warum er sie nicht beim Namen genannt
hatte. Er wusste doch ihren Namen, Noelle. Er hätte ihn nennen können.
Silas schüttelte den Kopf. Er schüttelte ihn heftig, aber er war
fertig. Er war fertig vom Weinen.
Was ist denn, mein Junge? , fragte Owen.
Nein, die Worte mein Junge sagte er nicht. Er
wünschte, er hätte es getan.
Was ist?, fragte Owen.
Silas verschloss sein Gesicht, sein Mund zog sich zu einem kleinen
Loch zusammen, seine Augen wurden zu Schlitzen.
Owen beobachtete es und wartete, bis Silas’ Gesicht sich wieder
entspannte. Silas schaute zu Owen hinüber. Geh raus, Dad ,
sagte er. Geh einfach raus.
Owen war klug genug, zu wissen, dass es keinen Sinn hatte, sich
einzumischen. Wenn diese Noelle mit dem Jungen Schluss gemacht hatte, litt er
jetzt, und Owen konnte daran nichts ändern. Er war mit Worten nicht so gut wie
Anna. Nicht
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