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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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dass Worte Silas’ Schmerz hätten heilen können.
    Owen blieb zu lange an der Tür stehen. Er konnte nicht helfen, aber
er wollte gern helfen.
    Geh raus , sagte Silas noch einmal.
    Die Worte klangen Owen noch in den Ohren. Selbst jetzt noch.
    Er schloss die Tür und blieb lauschend vor ihr stehen. Er wusste
nicht, was er zu hören erwartete. Irgendetwas.
    Hinter Owen öffnete Anna die Tür ihres gemeinsamen Schlafzimmers. Er
hatte geglaubt, sie nähme ein Bad, aber sie trug immer noch die Sachen, die sie
beim Abendessen angehabt hatte.
    Owen , sagte sie.
    Weißt du, was er hat ?, fragte Owen und
wies mit dem Daumen über seine Schulter nach rückwärts.
    Anna bedeckte ihre Augen mit den Händen. Sie begann zu weinen. Owen
kam sich vor wie der einzige Mensch auf der Welt, der seine eigene Familie
nicht verstand.
    Wir müssen reden , sagte Anna.

Silas
    E s wird kalt, es wird so kalt. Bald ist
es ganz dunkel, aber ich kann immer zur Scheune hinuntergehen und dort
schlafen, wenn es sein muss – wenn ich nicht ins Haus gehen möchte.
    Gleich wenn ich morgen früh aufwache, schreibe ich dir weiter, weil
es das Einzige ist, was ich jetzt noch tun kann – dir schreiben und dir sagen,
wie sehr ich dich geliebt habe und immer noch liebe. Immerzu möchte ich dir das
sagen, und wenn ich das Schreckliche nicht getan hätte, hättest du es tausend
Mal von mir gehört und wahrscheinlich sogar noch öfter, weil ich alles
darangesetzt hätte, dich dazu zu bewegen, mich nach dem College oder dem
Konservatorium zu heiraten.
    Jetzt kann ich immer nur daran denken, dass du die wunderbarste
Musik machen wirst, und ich sie niemals hören werde. Das ist beinahe das
Traurigste von allem, obwohl eigentlich doch nicht. Vielleicht lese ich eines
Tages, dass du irgendwo ein Konzert gibst, dann schleiche ich mich in den Saal
und setze mich ganz hinten hin und sehe dir beim Spielen zu. Du brauchst mir
nicht ins Gesicht zu sehen, weil ich so weit weg sein werde. Aber ich werde die
Musik hören können.
    Es tut mir so leid, dass ich auf deine Anrufe nicht reagiert habe.
So schrecklich leid. Ich kann mir vorstellen, dass du ganz verzweifelt warst.
Aber ich war einfach so fertig wegen meiner Mutter und diesem grässlichen
Typen. Ich weiß, dass sie meinem Vater alles gesagt hat. Ich habe gehört, wie
er die Küchentür zugeknallt hat und weggerast ist wie ein Verrückter. Danach
habe ich sie im Schlafzimmer weinen hören, und ich dachte, jetzt gibt es unsere
Familie nicht mehr, sie hat alles kaputt gemacht, dieser grässliche Typ hat
alles kaputt gemacht, weil er sich wie eine Schlange in unsere Familie
einschleichen und alles vergiften musste, was wir hatten. Wegen dem, was er
getan hat, und wegen dem, was ich getan habe, können wir nun nie wieder ein
Familie sein. Nie wieder.
    Wenn mein Vater das Band zu Gesicht bekommt, kann ich sowieso nie
wieder nach Hause zurück. Ich könnte ihm nicht in die Augen sehen und er mir
nicht. Ich müsste fort von zu Hause.
    Es wird kalt und es wird dunkel, und ich war so dumm, meine
Handschuhe zu vergessen, ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte,
doch, ich weiß es, ich war total durcheinander. Aber ich kann meine Hände ja in
meinem Parka warm halten, ich kann nur nicht sehr lange schreiben, ohne dass
meine Finger zu steif dafür werden und ich sie wieder in die Taschen stecken
muss, um sie aufzuwärmen, damit ich den nächsten Satz schreiben kann. Gerade
habe ich einen PowerBar-Riegel gegessen und deshalb keinen Hunger, aber ein
bisschen durstig bin ich, und das war auch so etwas Dummes von mir, ich habe
vergessen, eine Flasche Wasser mitzunehmen, aber wenn ich richtig Durst
bekomme, kann ich ja einfach Schnee essen.
    Ich würde gern wissen, was du jetzt gerade tust, und ich hoffe, du
liegst nicht im Bett und weinst, weil ich dich so verletzt habe. Lieber Gott,
hoffentlich glaubst du nicht, du müsstest von der Schule abgehen, weil du den
Kummer und die Demütigung nicht aushalten kannst, das wäre furchtbar. Du musst
unbedingt weiter auf die Schule gehen – ach, wenn ich dir das nur sagen könnte,
es ist mir eben erst eingefallen – bitte, bitte, geh nicht deswegen von der
Schule. Du musst auf die Juilliard oder wo sie dich sonst nehmen, damit du weiter
Musik machen kannst.
    Das hat doch alles nichts mit dir zu tun, du warst nicht beteiligt,
ich allein habe es getan, es war dumm und entwürdigend, ich habe überhaupt
nicht nachgedacht, und ich verdiene alle Strafe, die ich bekomme. Aber du,

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