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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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du
hast überhaupt keine Strafe verdient. Sowieso ist das, was ich dir antue,
wahrscheinlich viel schlimmer als jede Strafe, die sie mir geben werden. Ich
gehe nachher den Berg hinunter und nehme meine Strafe in Empfang, ich habe
keine Angst davor, ich wollte nur mit dir reden, bevor ich es tue, bevor sie
mich von der Schule werfen oder was sie sonst mit mir machen.
    Deshalb habe ich das alles geschrieben, weil es beinahe so ist, als
würde ich mit dir reden. Ich wünschte so sehr, du wärst hier bei mir, ich würde
dir hunderttausend Mal sagen, wie leid es mir tut, und dich nicht bitten, mich
anzusehen oder mir zu erlauben, dich zu berühren oder dir zu sagen, dass ich
dich liebe. Ich würde dir nur sagen, wie leid es mir tut, dass dir das
passieren musste. Und dann würdest du mir vielleicht verzeihen. Du würdest mich
ansehen und mir trotz deiner Traurigkeit glauben, wenn ich dir sage, wie sehr
ich dich liebe, und eines Tages würdest du vielleicht sogar auf mich zukommen
und mich küssen, um mich wissen zu lassen, dass du mir verzeihst, schließlich
passiert manchmal so etwas wie ein Wunder.
    Vielleicht würden wir eines Tages sogar zusammen auf der Straße
gehen oder in einen Laden oder uns an einem Tisch gegenübersitzen und
miteinander reden, und das, was uns getrennt hat, wäre so weit weg in der  Vergangenheit, dass wir uns kaum erinnern
könnten. Und eines Tages würdest du mich dann mit zu dir nach Hause nehmen, wir
würden in dein Schlafzimmer gehen, du würdest dich auf das Bett legen, und ich
würde mich zu dir legen, und du würdest mir erlauben, dich zu lieben. Ich würde
jeden Augenblick auskosten, und es wäre ganz anders als auf dem Band, es wäre
etwas Andächtiges und Heiliges, das Ein und Alles, und ich wäre so glücklich.

Noelle
    I ch rufe Silas nicht wieder an, wenn er
reden will, sage ich mir, wird er sich melden. Aber ich weiß, dass etwas nicht
stimmt. Dass er den Ball auf die Tribüne geworfen hat, kann nur heißen, dass er
sich entweder vor Wut nicht beherrschen konnte oder jemanden verletzen wollte.
Silas ist ein viel zu guter Ballspieler, um sein Ziel nicht genau zu treffen.
Aber es ist ausgeschlossen, dass er diese Frau verletzen wollte, das verwirrt
mich.
    Am Nachmittag fragen mich alle: Was war denn
mit Silas los? Ich kann ihnen keine Antwort geben.
    Ich gehe in den Übungsraum und versuche, Geige zu spielen.
Innerlich bin ich nervös, und die Nervosität mischt sich in mein Spiel.  Abbrüche und Neuansätze. Frustration.
Ungeduld. Sogar einzelne Töne klingen daneben, als wenn sie in Leerräume
innerhalb der Musik fallen würden.
    Von Zeit zu Zeit mache ich mir Gedanken. Ist
es aus ? Dass er mich an einem Samstag nicht anruft oder wenigstens eine SMS schickt, macht mir Angst. Aber ich kann nicht schon
wieder bei ihm zu Hause anrufen. Das schaffe ich einfach nicht.
    Samstags geht kein Mensch zum Abendessen in die Kantine. Aber
ich habe Hunger und würde gern gehen.
    Wir sind die Ältesten und gehen nicht mehr zu diesen Partys. Ich
setze mich in mein Zimmer und versuche zu lesen, aber mit dem Lesen ist es wie
mit der Musik, alles zerfällt, ist voller Leerstellen. Ich lese immer wieder
dieselbe Seite, dann schaue ich zum Fenster hinaus. Der Schnee ist hoch und
seine Oberfläche hart gefroren, sie glitzert, wo Licht auf sie fällt. Meine
Zimmergenossin hat einen Freund, sie ist mit ihm nach Burlington gefahren. Ich
bin allein in unserem Zimmer, aber ich lasse die Tür offen, weil ich mir so
abgeschnitten vorkomme, wenn sie zu ist. Immer wieder sehe ich auf mein Handy.
Ich stecke das Ladegerät an, nur zur Sicherheit. Alle fünf Minuten schaue ich
auf meinem Computer nach. Ich könnte bei ihm zu Hause
anrufen , überlege ich. Es könnte doch sein, dass er
nur krank ist, vielleicht Fieber hat, dann habe ich mich die ganze Zeit wegen
nichts verrückt gemacht. Vielleicht war er deshalb so seltsam beim
Spiel. Ja, das muss es sein. Er ist krank, das erklärt auch, warum er so früh schlafen
gegangen ist. Ich finde diese Erklärung so einleuchtend, dass mir wieder wohler
wird. Wenn Silas krank ist, gibt es keinen Grund sich zu sorgen. Ein Anruf
stört ihn höchstens.
    Aber dann denke ich: Wenn ich krank wäre,
würde ich ihn anrufen. Nur um ihm Bescheid zu geben. Ganz bestimmt.
    Eine Gestalt mit langem dunklen Haar huscht an meiner offenen
Tür vorbei. Gleich darauf kommt sie im Rückwärtsgang zurück.
    »Noelle?«, fragt Sherry.
    »Hey.«
    »Was machst du hier?«
    »Ich lese.« Ich

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