Weil sie sich liebten (German Edition)
Tür
vorbei. Drei Mädchen, die ich kenne, hängen vor dem Computer. Eine von ihnen,
sie steht, hält sich den Mund zu, als würde sie am liebsten losschreien, aber
sie tut es nicht. Eine andere sitzt direkt vor dem Bildschirm und die dritte
kauert in der Hocke neben ihr. Die dritte, die in der Hocke, bemerkt mich und
rammt der Freundin neben sich den Ellbogen in die Seite. Die Bilder auf dem
Schirm erlöschen. Ich bin fast sicher, dass es irgendein Amateurfilm war.
Das Mädchen in der Hocke sieht mich an, steht übertrieben langsam
auf und streckt sich ausgiebig. Sie gähnt. Sie heißt Krystal.
»Was ist los?«, frage ich.
Krystal antwortet nicht, als könnte sie nichts hören, wenn sie sich
streckt. Es sieht aus, als wollte sie sich bis zum Mond hinauf recken. Das
Mädchen auf dem Schreibtischstuhl dreht den Kopf zur Tür, wo ich stehe. Ich bin
gerade aus dem Musiksaal gekommen und habe meine Geige bei mir. Ich trage eine
abgetragene Flanellhose und auf dem Kopf eine Wollmütze.
»Hey, Noelle«, sagt das Mädchen. Die andere, die sich den Mund
zugehalten hat, nimmt die Hand jetzt herunter, aber sie dreht sich nicht um.
Niemand gibt mir eine Antwort auf meine Frage.
Es ist lange still, während ich krampfhaft überlege, was ich noch
fragen könnte.
»Habt ihr euch einen Film angeschaut?«
»Nur so was Blödes im Internet«, erklärt Krystal zu schnell. »Und du
warst beim Üben?«
Mir ist plötzlich heiß unter dem Parka. Ich ziehe die Wollmütze vom
Kopf.
»Ja«, antworte ich.
Am Dienstag sehe ich Silas endlich, aber er ist auf der anderen
Hofseite und nimmt überhaupt keine Notiz von mir. Ich hinterlasse ihm fünf
telefonische Nachrichten und schicke ihm zwei SMS .
Er ist zwar auf dem Gelände, aber offensichtlich schwänzt er den Unterricht,
denn Cynthia und Molly erzählen beide, dass Silas nicht erschienen ist. Ich
frage mich, ob er zum Training geht, obwohl er für vier Spiele suspendiert ist.
Der Coach ist bestimmt außer sich, denn niemand hat so viel Zug zum Korb wie
Silas und niemand kann besser Dreier werfen.
Am Mittwochmorgen, gleich in der Frühe, erfahre ich, dass Silas
in der Turnhalle ist. Ich schwänze die erste Stunde, die um acht anfängt, und
mache mich sofort auf den Weg. Als Silas aus der Jungsgarderobe kommt, halte
ich ihn auf.
»Wir müssen reden«, sage ich.
Sein Gesicht ist bleich und leblos, seine Augen sind rot umrandet.
Ein merkwürdiger Geruch geht von ihm aus, aber vielleicht ist das nur der
Geruch von ungewaschenen Turnsachen.
»Ich kann nicht«, sagt er.
»Ich muss das jetzt aber tun«, beharre ich.
»Ich muss zum Unterricht. Ich bin sowieso schon zu spät dran.«
Ich bleibe stur stehen und sehe ihn an.
Er verschwindet um die Ecke. Ich folge ihm durch einen Gang zu einer
Treppe, die fast nie benutzt wird.
»Was ist los?«, frage ich.
Silas kommen die Tränen. Es zerreißt mir das Herz, und ich bekomme Angst. Ich habe Silas nie
weinen sehen, und es ist ein schrecklicher Anblick. Er wendet sich von mir ab.
In dem Moment weiß ich, dass es aus ist.
Er weiß es auch, deshalb weint er.
Ich drücke die Arme auf meinen Bauch. Ich würde mich gern
setzen, aber ich wage keine Bewegung. Ich hoffe verzweifelt, dass ich mich irre. Dass Silas –
was für ein Quatsch – wegen seiner Basketballkarriere so komplett von der Rolle
ist. Dass vielleicht jemand gestorben ist, der ihm nahestand. Ich kann es nicht
fassen, dass ich mir so etwas wünsche, aber ich tu’s.
Silas hält sich an dem eisernen Treppengeländer fest und senkt
den Kopf. Er wischte sich die Nase und die Augen mit dem Arm. Er steht immer noch mit dem
Rücken zu mir.
»Ist es aus?«, frage ich und wünsche mir, dass er sich blitzartig
herumdreht und sagt: Nein, nein, das ist es nicht. Dann werde ich ihn in die
Arme nehmen und ihm helfen. Aber er tut es nicht. Er rührt sich gar nicht.
»Silas?«
Er hebt den Kopf und starrt zur Decke hinauf.
Über uns öffnet ein Lehrer die Tür und kommt die Treppe herunter.
Vielleicht ein Squash-Trainer, denke ich.
»Alles in Ordnung?«, fragt er.
Ich nicke, wünschte, er würde endlich gehen.
Er glaubt wahrscheinlich, wir hätten eine kleine Beziehungskrise.
Aber es ist mehr. Viel mehr.
»Es muss sein«, sagt Silas, als der Trainer weg ist.
»Was muss sein?«, frage ich. Er kehrt mir immer noch den Rücken zu.
»Es muss aus sein«, antwortet er.
»Aus?«, frage ich.
Er sagt nichts.
»Das war’s dann?« Panik drückt mir die Luft ab.
Wieder schweigt
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