Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
beinahe stehen. Ich habe niemanden kommen gehört. Hinter mir … im Rücken … Die Kamera fest umklammert, hebe ich die Hände. Versuch klar zu denken, Mira, atme, du musst dich im richtigen Moment wehren. Ich fahre herum – und sehe den Schäferhund. Er stupst mich erneut an, seine Augen scheinen traurig, keine Spur von der ungezügelten Lebhaftigkeit. Oder rede ich mir das nur ein? „Reblaus“, sage ich leise und lockend, „was hast du gesehen?“
Er bleibt bei mir, ist dankbar, nicht mehr allein zu sein, begleitet mich zum Auto, steigt mit mir ein, ich finde auf Anhieb den Weg zurück, rufe über das Mobiltelefon die Bertholds an.
Martina umarmt den Hund, als sei jetzt alles in Ordnung, der Großvater beginnt zu weinen und stößt gleichzeitig Verwünschungen aus: „Ich erschieß’ dich, ich erschieß’ dich“, und beutelt die Faust in Richtung Nachbarhaus.
Ich erzähle Frau Berthold, wo ich den Hund gefunden habe, sie ist bleich. Noch immer keine geröteten Augen, wo nimmt sie bloß ihre Fassung her? Wir sitzen am Küchentisch, wie oft ist sie da wohl mit ihm gesessen? „Wollen Sie einen Schluck Wein?“, fragt sie.
Das Leben geht weiter, ich will sie nicht daran hindern, daran zu glauben, ich nicke.
Wir trinken Zweigelt, voll und dunkel, grasig, wir prosten einander nicht zu.
„Wenn ich die beiden großen Aufträge verliere, ist alles vorbei“, sagt sie nach einiger Zeit.
„Sie machen weiter?“
„Ich kann gar nicht anders. Ich muss es versuchen.“
„Welche Aufträge?“
„Weingroßhandel Gerold, der größte Händler Deutschlands. Ein Dreijahresvertrag samt Werbung, nur Qualitätswein, sie vermarkten in fast ganz Europa und in Amerika. Der Vertrag steht kurz vor dem Abschluss. Zweihunderttausend Bouteillen pro Jahr. Mit ein Grund, warum wir weitere Rebflächen gepachtet haben.“
„Und der andere?“
„Kauf-Gruppe, die Supermarktkette, Sie wissen schon. Sie wollen eine neue schicke Weinlinie entwickeln: Wir sollen für sie unter ihrem Namen produzieren, unser Name findet sich am rückwärtigen Etikett, einen Wein zu Fisch, einen zu Fleisch, einen zu Käse, einen zu Dessert, einen zu Vorspeisen – etwas für Einsteiger, immer mehr Leute trinken Wein, auch Junge. Es ist schick geworden. Und dazu: Abnahmegarantie für ein größeres Quantum unserer drei Topweine, sie sollen jedes Jahr ausgekostet, von ihnen verkauft und beworben werden. Man kommt um die Supermärkte nicht herum, wenn man eine gewisse Größe erreicht hat.“
„Und wenn aus den Aufträgen nichts wird?“
Sie sieht mich ruhig an. „Dann kann ich unseren Kredit nicht zurückzahlen.“
„Ihr Wein verkauft sich auch ohne Großaufträge.“
„Wir haben sieben Hektar mehr als im vergangenen Jahr. So viel Wein muss man erst einmal um einen annehmbaren Preis anbringen. Zum Glück hab ich mich immer schon ums Wirtschaftliche gekümmert. Hans … Ich kenn’ mich zwar auch im Weinbau aus, aber – die kellertechnischen Entscheidungen hat er getroffen.“ Sie reckt das Kinn nach oben. „Wir werden den Weißburgunder morgen abfüllen.“
Ich frage mich, wann sie zusammenbricht und ob es gesund ist, wenn sie so auf Touren bleibt.
„Ich muss es durchstehen“, sagt sie, „da geht es um mehr als um mich. Ich tu es auch für ihn.“
Ihre Kinder müssen auf sie Acht geben.
Ich finde Christian im Büro, ich sehe, dass er geweint hat. „Es ist vorbei“, sagt er.
„Ihre Mutter sieht das anders.“
„Sie kann nicht … Der Macher war mein Vater.“
„Unterschätzen Sie sie nicht.“
„Mein Vater … er war keiner, der anderen Entscheidungen überlassen hat. Sie hat es nicht gelernt.“
Er starrt in den Computer, sieht nichts, auch nicht, dass ich gehe.
Martina ist immer noch im Hof und streichelt den Hund. „Er will nicht fressen“, sagt sie.
„Das ist normal“, antworte ich, als ob ich mich mit Hunden auskennen würde.
„Was hat er gesehen?“
Ich zucke mit den Schultern. „Wo ist dein Großvater?“
„Der Arzt hat ihm noch ein Beruhigungsmittel verpasst. Und Tomek hat den Schlüssel zum Schrank mit den Gewehren versteckt.“
„Ihr habt Gewehre?“
„Jagdgewehre. Papa war Jäger.“
„Weiß das die Polizei?“
„Sie meinen … die …“ Sie schüttelt den Kopf.
Vorsicht Mira, sie ist erst sechzehn.
Martina bekommt einen Zug um den Mund, den ich vor kurzem erst bei ihrer Mutter gesehen habe. „Sie müssen mich nicht schonen. Ich versuche, logisch zu denken, natürlich muss man das der
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