Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
mache, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es irgendjemand liest, aber meiner Eitelkeit tut es trotzdem gut. In einer Viertelstunde soll ich im Café Bräunerhof sein, kaum noch zu schaffen.
Bei Regen fahren in Wien alle wie die Vollidioten, ich fluche, als das Auto vor mir scharf abbremst, nur weil die Ampel grün zu blinken begonnen hat. Mein Mobiltelefon läutet. Auch das noch. Ich fummle in meiner Tasche herum, drücke die Empfangstaste, halte das Gerät ans Ohr. „Valensky.“
„Frau Valensky?“, die Stimme klingt wie sehr weit weg.
„Ja“, fauche ich ungehalten.
„Berthold. Eva Berthold. Mein Mann ist erschossen worden.“
Es schüttet immer noch. Ich stehe am Waldrand und starre auf den Trupp der Spurensicherung. Sie pflügen das Gelände beim Hochstand um, ich weiß nicht, ob sie mehr Spuren sichern oder vernichten. Aber der Regen wäscht sowieso alles weg. Ich kann mir Hans Berthold nicht tot vorstellen, will nicht an seine Augen denken, und welche Farbe sie gehabt haben, als ihm klar war, dass er stirbt. Nachtblau. Einige Reporter haben sich eingefunden, der Tatort ist nur kleinräumig abgesperrt, dort, wo der Winzer gelegen ist, hat man seltsame Fähnchen in den Boden gesteckt, ähnlich wie beim Golfspielen. Ich höre, wie ein Polizeibeamter immer wieder dasselbe sagt: „Wir wissen noch nichts, wir können es nicht wissen.“
„Unfall?“, fragen meine Kollegen. „Mord?“
Ich bin klatschnass. Bringe es nicht über mich, die neue Fototasche zu öffnen, die ersten Fotos von der Spurensicherung, den Fähnchen im Regen, dem Hochstand, von dem aus Hans Berthold wohl erschossen worden ist, zu machen. Als ob es noch mehr Unglück bringen würde.
Eva hat mich bleich, aber nach außen hin gefasst umarmt, Tomek hat mich mit dem Traktor hergebracht, mit dem Auto wäre bei diesem Wetter kein Durchkommen gewesen. Er hockt immer noch auf dem Traktor, schaut nicht durch die Scheibe nach draußen, sondern zu Boden, so als ob er nichts sehen, nichts wissen möchte.
Eva holt Martina aus der Schule, der Großvater hat gegen seinen Willen eine Beruhigungsspritze bekommen. Das Herz. Christian war in Zürich, er sitzt jetzt wohl schon im Flugzeug. Reblaus ist verschwunden. Der Hund hat den Winzer regelmäßig beim Joggen begleitet. Ein Weinbauer, der joggt. Und dabei umkommt. Ich versuche meinen Blick auf den Waldrand gerichtet zu halten. Vielleicht ist Reblaus da irgendwo, was könnte er uns erzählen? War der Hund bei ihm, als er gestorben ist? Vielleicht hat man auch den jungen Schäferhund erschossen, angeschossen. Ich muss fragen, wer diesen Hochstand üblicherweise benutzt. Hans Berthold. Er kann nicht tot sein, nicht mit diesen Augen. Seine Kraft, sein Talent. Ich merke, dass das Nasse, das mir über das Gesicht rinnt, vom Kinn auf den schweren Boden tropft, nicht nur Regen ist.
Es ist so viel zu tun, dass Eva Berthold gar nicht zum Nachdenken kommt. Die Polizei ist im Haus, stellt Fragen. Sie muss entscheiden, ob der Weißburgunder, so wie geplant, heute abgefüllt wird. Sie muss die Reporter bitten, endlich den Hof zu verlassen. Sie muss sich um Martina kümmern. Sie muss den Großvater daran hindern, hinaus in den Wald zu fahren, um nach Reblaus zu suchen. Sie muss organisieren, dass Christian vom Flughafen abgeholt wird, sie muss die laut heulende Ana beruhigen, sie muss, sie muss … Zwei Freundinnen aus dem Ort sind gekommen, kümmern sich um die vielen Kleinigkeiten, die bei einem Sterbefall zu erledigen sind. Warum hat sie ausgerechnet mich angerufen?
Ich versuche meine Kollegen von der Presse zum Abrücken zu überreden. Die seriösen unter ihnen sind längst verschwunden, den anderen drohe ich letztlich mit einer Klage wegen Hausfriedensbruchs.
„Sind Sie nicht vom ‚Magazin‘?“, fragt mich ein junger Reporter vom „Blatt“. „Ist ja ganz toll, Sie vertreiben uns und haben die Story exklusiv.“
Meine Reportage … Ich war hinter einer anderen Story her, du Idiot. Ich werde wütender, als ich sollte, schreie: „Raus, aber sofort!“
Tomek, bleich im Gesicht, hilft mir die Typen zum Tor hinauszudrängen.
„Man muss Wahrheit finden“, sagt er.
„Wie oft ist Berthold joggen gegangen? Hatte er immer dieselbe Strecke?“
„Oft. Mein Deutsch … zu schlecht.“
„Sie wissen etwas? Ist Ihnen etwas aufgefallen?“
Tomek schüttelt traurig den Kopf. „Weißburgunder, Chef wollte füllen.“
„Morgen, Tomek. Der Wein soll nicht an seinem … Morgen.“
Ich finde Eva am
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