Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
einen Cognac bestellt, „für die Verdauung“, muss ich es ihr einfach nachtun. Sie sieht es, prostet mir zu, lächelt. „Sie sollten unbedingt die Cremeschnitten probieren, sie sind ein Gedicht.“
„… und geil“, ergänze ich.
„Das schon auch“, gibt sie zu.
Der Regen stört mich nicht mehr, auch dass ich die Zeitung vergessen habe, macht nichts, ich habe sie ohnehin schon im Kaffeehaus gelesen. Ich steige die Stufen nach oben, mache im dritten Stock Halt, überlege, ob ich bei der alten Frau Müller reinschauen soll, die immer wieder auf Gismo aufpasst, wenn ich länger verreisen muss, setze meinen Aufstieg dann jedoch fort. Ich werde für sie eine Cremeschnitte besorgen oder etwas ähnlich Sensationelles.
Ich sperre die Eingangstür zu meiner Wohnung auf, Gismo steht vor mir, vorwurfsvoller Blick. Gleich werde ich sie füttern, Sonntagsfrühstück auch für sie. Da höre ich es. Es tropft. Es regnet. Ich habe mit Sicherheit kein Fenster aufgemacht. Ich gehe in mein kombiniertes Wohn- und Arbeitszimmer. Es regnet. Es regnet im Zimmer, von der Decke, es regnet die Wände herunter. Ich lasse einen Schrei los, stürze zum Computer, zum Glück war der Deckel des Laptops zu, aber das Gerät ist feucht, ich hetze damit hinaus ins Vorzimmer, hier ist es noch trocken. Hinein ins Schlafzimmer. Es regnet noch nicht von der Decke, aber über eine Wand rinnt Wasser.
Ich renne herum, raffe die Papiere von meinem Ess- und Arbeitstisch, trage sie ins noch Trockene, rette, was ich glaube retten zu können, rufe dann endlich wutentbrannt bei der Hausverwaltung an. Sonntag. Ein Band läuft. Wahnsinn. An wen kann man sich wenden, wenn es Sonntag Mittag von der Decke regnet? Die Baustelle ist undicht. Wer weiß, wie lange es dauert, und die Decke stürzt ein? Ich stelle dort, wo es am heftigsten tropft, ein paar Kübel und große Töpfe auf. Modrig feuchter Gestank nach nassem Ziegel, nasser alter Farbe. Es muss eine Notrufnummer für solche Fälle geben.
Feuerwehr, das ist es. Die Feuerwehr rückt doch auch aus, wenn Keller überflutet sind. Bei mir wird gerade die Wohnung überflutet.
„Wie bitte?“, sagt die Frauenstimme beim Feuerwehrnotruf.
„Das ist kein Scherz, ich bin auch nicht betrunken. Über mir wird der Dachboden ausgebaut, und jetzt regnet es in meine Wohnung.“
„Wir sind vollkommen überlastet. Unsere Mannschaften sind rund um die Uhr im Einsatz, um Keller auszupumpen. Ich weiß nicht, was wir für Sie tun können.“
„Eine Plane auslegen am Dachboden“, rege ich an. Sie verbindet mich weiter. Zwei Stunden später ist tatsächlich ein Team der Feuerwehr da, das sich die Lage ansieht, ohne großes rotes Auto, ohne Blaulicht. Der Kommandant schüttelt den Kopf. „So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Der Aufgang zur Baustelle auf dem Dach ist versperrt. Endlich gelingt es ihm, jemand von der zuständigen Bauaufsicht zu erreichen. Eine Stunde später ist dieser Herr Gerngroß da, ich habe ihn schon einige Male im Haus gesehen.
„Das kann nicht sein, das kann nicht sein“, sagt er, als er in meinem regennassen Wohnzimmer steht.
„Was ist es dann? Eine Fata Morgana?“, schreie ich ihn an.
Selbst er tut sich schwer zu leugnen, dass der Wassereinbruch nur von oben, von der Baustelle kommen kann.
Die Feuerwehr legt tatsächlich eine Plane auf dem Dach aus, sie decken bei mir auch Tisch, Sofa, Fernseher ab. Ob da noch etwas zu retten ist? Ich evakuiere alles, was mir wichtig ist, in die Küche. Sie ist der einzige Raum, der zur Gänze trocken zu bleiben scheint. Dorthin hat sich auch Gismo zurückgezogen, sicherheitshalber sitzt sie unter dem Esstisch. Morgen will man den Schaden grundlegend beheben.
„Das wird Wochen dauern, bis alles trocknet und man da wieder wohnen kann“, meint der Feuerwehrkommandant mitleidsvoll.
Wo soll ich hin? Oskar ist nicht da, ich habe einen Schlüssel zu seiner Wohnung. Ich habe noch nie dort übernachtet, wenn er nicht da war. Und was mache ich mit Gismo?
Ich füttere sie mit Hühnerrücken, sie schnurrt. Wenn ich mich nur so leicht mit Situationen abfinden könnte … Manchmal hilft mir dabei nicht einmal Essen. Übernachten kann ich hier nicht. Dazu kommt noch das ungute Gefühl, die Decke könnte einstürzen.
„Ausgeschlossen“, haben Feuerwehrmann und Gerngroß unisono gesagt, aber hätten sie sich gedacht, dass es in der Wohnung regnen kann?
Ich packe Sachen für ein, zwei Tage zusammen, stelle Trockenfutter und Wasser auf den Küchenboden.
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