Wein & Tod - ein Mira-Valensky-Krimi
schon groß auftrumpfen könnte. Die meisten haben einen durchschnittlichen Beruf, sehen durchschnittlich aus. Eine interessiert mich besonders, sie ist während des Krieges aus Bosnien gekommen, lebt mit einem der Nationalspieler zusammen. Sie hat vor kurzem um die Staatsbürgerschaft angesucht.
„Das ich will mir nicht anheiraten, das will ich selbst“, sagt sie.
Ob man bei ihr auch Nachforschungen angestellt habe?
Sie sieht entsetzt drein, keine Ahnung, sie habe nichts davon gehört. Aber … das sei doch fürchterlich …
Was das Problem sei? Sie arbeite doch nicht schwarz, oder?
„Jetzt nicht, habe ich aber. Ich bin mit sechzehn gekommen, habe kein Geld für Schule gehabt, habe bei Leuten geputzt. Und schlimmer … Kann ich Journalistin nicht sagen.“
Ich erzähle ihr von Vesna.
„Ich brauche jemand, der mir ratet“, seufzt sie, „mein Mann weiß nichts davon. Mit siebzehn, achtzehn habe ich in Bar gearbeitet, so Animierlokal, man hat mich angeworben. War harmlos, ich habe nie … wie sagt man … die Beine müssen breit machen, nur eben animieren. Aber …“
Das wäre ein gefundenes Fressen für gewisse Schmierblätter.
„Ich muss Antrag zurückziehen.“
„Dann schauen sie womöglich besonders genau nach. Vielleicht machen sie ja bloß Stichproben. Vesna hat nie mehr etwas gehört.“
„Mir ist diese Arbeit nach eineinhalb Jahren so auf die Nerven gegangen, ich habe über Freundin Job in einer Boutique bekommen und da habe ich dann auch meinen Carlo kennen gelernt.“
„Sie sollten es ihm erzählen.“
„Seine Mutter …“
Ich nicke mitfühlend.
„Oder Sie heiraten ihn so rasch wie möglich.“
„Ich will nicht, dass er es aus Mitleid tut.“
Sie ist äußerst attraktiv, wirkt sympathisch. Aus Mitleid? Kann ich mir nicht vorstellen. Ich verspreche, sie über Vesnas Einbürgerungsangelegenheit auf dem Laufenden zu halten. Übrigens: Nur um mir selbst ein Bild machen zu können, habe ich alle Spielerfrauen nach ihrem Zugang zu Wein gefragt. Die meisten gaben an, ganz gern hin und wieder ein Gläschen zu trinken, fast alle kannten Kaiser-Wein. Niemand kannte die Weine von Berthold. Jahrzehntelange Fernsehwerbung prägt eben.
Oskar ist für drei Tage nach Frankfurt geflogen, er muss noch einiges im Nachhang des großen Wirtschaftsprozesses klären, außerdem arbeitet er an einem grundsätzlichen Kooperationsvertrag mit seiner Frankfurter Partnerkanzlei. Ich frage mich, ob er seine Kurzzeit-Freundin, seinen Seitensprung, keine Ahnung, wie ich es nennen soll, sehen wird. Natürlich wird er, sie ist Teilhaberin in der Kanzlei. Seitensprünge in anderen Ländern … Damit hatte Aichinger also Recht. Hans hat Eva betrogen. Aber wie sollte Aichinger von April Wanders wissen? In Treberndorf kann sie nicht gewesen sein, die wäre nach fünf Minuten aufgefallen – und nicht bloß dem missgünstigen Nachbarn.
Auf dem Dachboden über mir arbeiten sie immer noch, Gismo scheint sich daran gewöhnt zu haben, sie schläft prächtig bei dem Krach, aber ich wache jeden Tag um Punkt sieben auf und die Wut packt mich. Seit drei Tagen regnet es noch dazu ununterbrochen.
Wenigstens heute herrscht Ruhe. Sonntag. Trotzdem werde ich um sieben munter, aber noch bevor ich mich darüber ärgern kann, schlafe ich wieder ein. Zwei Stunden später schnüffle ich: Draußen ist es so nass, dass es sogar bei mir in der Wohnung schon feucht riecht. Ich will trotzdem raus, die Zeitung holen, mein Morgensport am Sonntag, fünf Stockwerke hinunter, fünf Stockwerke wieder hinauf. Latten und Eisengitter versperren mir den Weg. Ich fluche, klettere über das Baumaterial. Die Studenten aus der Wohnung neben mir sind seit drei Monaten nicht da, Glück für sie, Auslandssemester. Ich renne durch den Regen zum nächsten Zeitungsstand, das Kaffeehaus dahinter sieht behaglich aus. Schon lange her, dass ich hier gefrühstückt habe. Ich sollte mir etwas gönnen.
Warm und dunstig ist es drinnen, ein paar ältere Damen besprechen ihre gesundheitlichen Probleme und die „Geilheit“ von Cremeschnitten – bis zu ihnen hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass „geil“ inzwischen etwas ganz anderes bedeutet. Ich fühle mich geborgen und um Jahrzehnte in die Vergangenheit versetzt, so etwas gibt es nur in Wien, so sehr ich New York und sein Tempo liebe.
Eine Stunde, zwei Melangen, zwei Buttersemmeln und eine Nusskrone später geht es mir sonntäglich entspannt gut. Als eine der älteren Damen nach einigen Mehlspeisen
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