Weine nicht, Prinzessin
Nachmittag gegen vier klingelte das neue Handy, Lara verließ das Haus und stieg zu Henk, der hinter der nächsten Ecke wartete, ins Auto. Manchmal fuhren sie zum Shoppen in die Stadt. Henk führte sie in schicke Boutiquen, die sie vorher noch nie betreten hatte. Die Verkäuferin begrüßte Henk wie einen guten Bekannten und nahm sich sehr viel Zeit bei der Beratung.
Lara war es anfangs etwas peinlich, als sie vor beiden in Unterwäsche hin und her spazieren und sich ihre Kommentare anhören musste.
»Sie hat einen schönen Knackarsch«, meinte Betty. »Warum willst du den mit Stoff bedecken?«
»Typisch Frau! Ein Mann will was zum Ausziehen haben!«, sagte Henk und lachte.
Er kaufte ihr Unterwäsche in Rot und Schwarz mit unzähligen Spitzen, T-Shirts mit großem Ausschnitt, enge Hosen, in denen ihre langen Beine zusammen mit den hochhackigen Schuhen noch länger wirkten. Henk kaufte für sie lange Ohrringe und eine kleine Handtasche aus imitiertem Krokodilleder.
Lara liebte aber vor allem die kurzen Lederröcke, die er für sie in verschiedenen Farben aussuchte. Sie liebte sie, weil Henk total ausflippte, wenn sie darin vor ihm her stöckelte.
Wenn sie sich Sorgen machte, weil er so viel Geld ausgab, und sie selber keines hatte, um sich an den Kosten zu beteiligen, meinte er nur: »Ein schöner Körper braucht schöne Kleidung. Und außerdem betrachte ich das als Investition.«
»Inves… was?«
»Das heißt, jetzt bezahle ich und demnächst kannst du ja bezahlen.«
»Mein Taschengeld wird dafür nie reichen.«
»Ich rede ja auch nicht von Geld. Früher haben die Menschen auch mit Naturalien bezahlt. Tauschgeschäfte sozusagen.«
Lara wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was er damit meinte, und sie dachte auch nicht weiter darüber nach.
Zu Hause und in der Schule trug Lara ihre alte Kleidung, sie war für die anderen das brave Mädchen, das sie immer gewesen war. Auch wenn er sie abends zurück nach Hause fuhr, war sie die alte Lara.
»Wir wollen doch nicht, dass sich die Nachbarn wundern«, sagte Henk, und wie immer hatte er recht.
Die neuen Sachen behielt Henk, er brachte sie jedes Mal, wenn er sie abholte, in einer großen Tüte mit. Erst im Auto vollzog sich die Wandlung in die neue Lara, eine Lara, die alles tat, um Henk zu gefallen, um zu hören, wie wunderschön sie sei. Um sich seiner Liebe sicher sein zu können.
7
Eines Nachmittags begrüßte Henk sie nicht so freudestrahlend wie sonst. Er wirkte bedrückt, ja sogar ein wenig traurig.
Lara setzte sich erschrocken neben ihn und schaute ihn besorgt an. »Was ist passiert?«
Henk schüttelte nur den Kopf und schwieg.
»Henk, bitte! Was ist los?«
»Lass mich, da muss ich alleine durch.«
»Aber vielleicht kann ich dir helfen.«
»Mir kann niemand helfen.« Ungewohnt langsam fuhr Henk los.
Lara zitterte am ganzen Körper vor Aufregung. Ihr gingen die schlimmsten Vermutungen durch den Kopf. Vielleicht war er gerade beim Arzt gewesen und der hatte ihm gesagt, dass er schwer krank sei und nur noch wenige Monate zu leben habe.
Nur das nicht!, dachte Lara. Was soll ich ohne ihn machen? Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht sterben!
»Ich brauche Geld! Viel Geld!«, sagte Henk in Laras Stoßgebet hinein.
Diesmal war es Lara, die laut seufzte vor Dankbarkeit. Es ging um Geld und nicht um eine tödliche Krankheit. Danke, lieber Gott, danke!
»Ich brauche schnell viel Geld«, sagte Henk.
Lara schwieg. Sie hatte kein Geld, da konnte sie nicht helfen. Aber sie hatte ein schlechtes Gewissen. Er hatte so viel Geld für sie ausgegeben. Er war immer so großzügig gewesen. War es ihre Schuld, dass er nun pleite war?
»Vielleicht kannst du mir ja doch helfen«, sagte er und lächelte sie an.
Ein Stein fiel Lara vom Herzen. Sie konnte es nicht ertragen, dass er traurig war. Sie würde alles tun, damit er sie weiter anlächeln konnte.
»Ich hatte ’ne Menge Geld auf der Bank, sehr viel Geld. Hab ich geerbt. Du hast sicher vor einiger Zeit von der Finanzkrise gehört?«
Lara nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, was er meinte. Solche Sachen interessierten sie nicht.
»Meine Bank ist jetzt pleite und mein ganzes Geld ist futsch.«
»Wieso nimmt die Bank dein Geld?«
»Lange Geschichte, erzähl ich dir später mal.«
»Und da kann man nichts machen?«
Henk schüttelte den Kopf. »Es ist anderen auch so gegangen. Sind alles Verbrecher, diese Bankleute.«
»Aber du kannst doch zur Polizei …«
»Lass uns jetzt nicht darüber reden.« Henks Stimme
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