Weine ruhig
drei Musketiere von Alexandre Dumas bei, doch auch Romane von Jules Verne und Karl May erzählten wir uns, und Geschichten aus der Bibel - Letztere steuerte hauptsächlich Vater bei.
Wir spielten auch Gemeinschaftsspiele, brachten uns gegenseitig Lieder bei, besonders Lieder aus Palästina, und erzählten einander interessante Erlebnisse, die wir gehabt hatten. All dies geschah in völliger Finsternis, während wir auf der Erde saßen oder lagen. Die Petroleumlampe wurde nur während der Mahlzeiten angezündet.
Wir sprachen Slowakisch, was bedeutete, dass Mutter die meiste Zeit schwieg, da sie die Sprache nicht gut genug beherrschte. Was empfand sie wohl in dieser Zeit? Woran dachte sie in jenen Stunden und Tagen, als sie schwieg? Damals verschwendete niemand einen Gedanken daran: Sie gehörte einfach nicht zu unserem Kreis. Sie muss unter ihrer Einsamkeit schrecklich gelitten haben. Ganz selten erzählte sie etwas Interessantes auf Ungarisch.
Die drei Jungen, die von Pavel mit Essen versorgt wurden, gingen weiterhin regelmäßig zu seinem Haus, um sich zu waschen. Wir hatten nur die Quelle, und manchmal wuschen wir uns dort, natürlich nur die Hände und das Gesicht, weil es zu kalt und die Quelle von allen Seiten einsehbar war. Unsere Kleider waren schmutzig, obwohl Mutter sie manchmal in der Quelle wusch. Dann waren sie noch tagelang feucht, weil sie in der Höhle nicht richtig trocknen konnten. Bald juckte es uns überall wegen der Flohstiche. Wir spielten ein seltsames Spiel: Im Schein der Petroleumlampe vergnügten wir uns damit, die Flöhe zu fangen, die auf uns herumhüpften. Wir zerquetschten sie mit den Fingernägeln, hörten das Knacken und sahen zu, wie das Blut herausfloss, das sie aus unseren Körpern gesogen hatten. Aber trotz all unserer Bemühungen vermehrten sie sich unaufhörlich und quälten uns.
Ich war bereits in der Pubertät, und jetzt hatte ich meine erste Menstruation. Ausgerechnet unter diesen unerträglichen Bedingungen kam dieser ungebetene Gast. Ich hatte starke Bauchschmerzen, und aus meinem Unterleib floss Blut. Mutter und ich wussten uns keinen Rat: Wie sollten wir das Blut auffangen? Wir hatten ein paar Hemden, und Mutter beschloss, eines in Streifen zu reißen, die ich mir in die Unterhose steckte. Mir war elend zumute, ich schämte mich, fühlte mich schmutzig und unrein. Vor allem befürchtete ich, dass die Jungen merken würden, was los war. Bei der ersten Gelegenheit ging ich mit Mutter zur Quelle, um mich zu waschen. Das kalte Wasser tat so weh, als würde man mich mit einem scharfen Messer aufschlitzen. Als Vincent, unser Wohltäter, am nächsten Tag mit dem Essen kam, baten wir ihn, uns ein paar Lumpen mitzubringen, ohne zu erklären, warum.
Sehr viel angenehmere Erinnerungen habe ich an den Tag, an dem die drei Jungen mir sagten, dass sie beschlossen hätten, mich zu fragen, ob ich einen von ihnen zum Freund nehmen wollte. Aber wer von ihnen sollte mein Freund werden? Sie hatten untereinander darum gelost, und Gewinner war der Jüngste der Gruppe, den ich Ronny nennen werde. Wenn ich einverstanden wäre, würde er mein Freund sein, und ich könnte meine Geheimnisse mit ihm teilen.
Von dem Tag an, als wir die Jungen kennen lernten, hatte ich Ronny am meisten gemocht, vielleicht wegen seiner Schweigsamkeit, seiner Reife und seiner klaren blauen Augen. Er hatte mich von Anfang an fasziniert, und ich war glücklich, dass er ausgelost worden war. Verlegen lächelnd willigte ich ein. So begann eine Episode zarter junger Liebe, meine erste Liebe, die sich entwickelte und blühte und die entsetzlichen Tage in dem dunklen Loch mit Zärtlichkeit und Schönheit erfüllte.
Fortan bildeten Ronny und ich immer das Team, das Wasser von der Quelle holte. Wenn wir uns am Tag Geschichten erzählten, versuchten wir, nebeneinander zu liegen. Durch die körperliche Nähe, zu der wir in dem dunklen Loch gezwungen waren, entwickelten wir auch eine emotionale Nähe. Manchmal spürte ich, wie sich sein Körper an mich drückte, seine Hand suchte nach meiner Hand, streichelte mein Gesicht. In der pechschwarzen Dunkelheit schmiegten wir uns aneinander und flüsterten uns Liebesworte zu. Ronny war von Natur aus still, drückte aber seine Liebe wortreich aus, indem er aus der Literatur zitierte, die er gelesen hatte. Wenn er mit Erzählen an der Reihe war, erinnerte er sich an die Handlung bis ins Detail, er schien aus dem Buch vorzulesen. Wir lauschten ihm gespannt und neugierig, er verstand es,
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