Weine ruhig
Ferne sahen wir einige Strommasten, die entlang der Straße standen, zu der Jozef uns führte. Als wir uns verabschiedeten, brach er in Tränen aus und wünschte uns Glück, sagte, er hoffe, uns wiederzusehen.
Wieder einmal nahmen wir den »Wanderstab« und machten uns auf den Weg, auf einer unbekannten Straße zu einem unbekannten Ziel. Mutter unterhielt sich flüsternd mit Vater. Sie sagte, wir sollten uns stellen und zu einem Transport melden, um diesem Alptraum des Umherirrens und der ewigen Angst und Ungewissheit ein Ende zu bereiten. Wie lange könnten wir so noch weitermachen? Früher oder später würde man uns ja doch schnappen, sagte Mutter. Aber Vater blieb stur und ging unbeirrt weiter. Wir folgten ihm durch die dunkle Nacht, schliefen fast im Gehen, das Mondlicht und die Strommasten wiesen uns den Weg.
Gegen Mitternacht sahen wir schemenhaft mehrere Holzkonstruktionen auf einem abgeernteten Feld. Als wir näher kamen, stellten wir fest, dass es sich um Silos handelte, die mit Getreide und Stroh gefüllt waren. Sie kamen uns wie gerufen. Sogleich krochen wir hinein. Das Stroh diente uns als Bett. Die spitzen Enden der Strohhalme stachen uns, aber die »Matratze« war weich, und das Beste war, dass wir uns tief in das Stroh hineinwühlen konnten und so vor der bitteren Kälte geschützt waren. Wir schliefen sofort ein.
Als wir morgens aufwachten, sahen wir Vater am Eingang des Silos stehen. Er erkundete die Gegend. Die Sonne schickte ihre warmen Strahlen in den Silo. Und als wir aus dem Stroh krabbelten, mussten wir lachen - kleine Strohhalme hingen uns in den Haaren, wir sahen aus wie Clowns. Wir klaubten uns gegenseitig die Strohhalme ab und zählten sie, um zu sehen, wer die meisten aufgesammelt hatte. Es war ein ideales Versteck - wenn nicht das Problem mit der Verpflegung gewesen wäre. Wir hatten schon das wenige aufgegessen, das Jozefs Frau uns mitgegeben hatte. Was sollten wir jetzt tun? Wer von uns würde losziehen, um etwas zu essen zu besorgen?
Dann trafen meine Eltern eine riskante Entscheidung. Sie beschlossen, dass die beiden Kleinen ins Dorf gehen und um etwas zu essen bitten sollten. Sie dachten, dass Rachel und Miriam am ehesten Mitleid bei den einfachen Dorfbewohnern erregen könnten.
Ich habe nie verstanden, woher meine Eltern den Mut nahmen, meine jüngeren Geschwister auf eine so gefährliche Mission zu schicken, und dass die beiden einwilligten. Hatten sie denn keine Angst vor den Hunden? Aber der knurrende Magen und der Überlebenstrieb veranlassten uns zu Taten, die unwahrscheinlich verwegen waren - und mehr als ein bisschen gefährlich.
Die Familie Tokoly
Wir hielten uns den ganzen Tag in dem Silo auf, dann gingen Rachel und Miriam los, um im Dorf etwas Essbares aufzutreiben. Meine Eltern und ich warteten gespannt auf ihre Rückkehr. Mutter und Vater befürchteten, sie hätten die Kleinen ihrem Schicksal überlassen, weil sie sie auf eine Mission schickten, für die sie viel zu jung waren. Wir spähten ihnen angestrengt durch die Ritzen des Silos hinterher, sahen ihr Zögern, als sie vor dem ersten Haus des Dorfes standen.
»Sie werden Angst haben anzuklopfen«, sagte Mutter. Der Schweiß rann ihr von der Stirn, und sie zitterte am ganzen Körper. »Ich werde sie zurückholen. Ich kann sie nicht länger dieser schrecklichen Gefahr aussetzen.«
Aber noch ehe Mutter losgehen konnte, sahen wir, dass die Tür des Hauses aufging. Eine Frau in einem Trachtenkleid kam heraus und redete mit Rachel und Miriam. Sie gingen alle zusammen ins Haus. Bald danach - es kam uns wie eine Ewigkeit vor - erschienen die drei wieder und gingen ins Dorf. Wohin ging die Frau mit ihnen? Wir durften sie nicht aus den Augen lassen - wir mussten ihnen folgen! Aber dann sahen wir, dass sie in ein Nachbarhaus gingen und bald darauf mit einem Korb wieder herauskamen. Sie zeigten in unsere Richtung, verabschiedeten sich winkend und marschierten los. Was für eine Erleichterung! Wir wussten, dass sie Erfolg gehabt hatten. Ungeduldig warteten wir darauf, ihre Geschichte zu hören.
Rachel und Miriam kamen lachend zum Silo, stellten den Korb ab und sagten, sie hätten ein wahres Festessen mitgebracht: Brot, Käse, ein paar Mohrrüben und sogar getrocknetes Fleisch. Glücklich schlangen wir die unerwartet großzügigen Gaben hinunter. Während wir aßen, traktierten wir sie mit Fragen. Rachel erzählte: »Wir gingen zum ersten Haus, aber wir schämten uns. Wir hatten keine Ahnung, wie man um etwas zu essen
Weitere Kostenlose Bücher