Weine ruhig
erfrischenden Bad half Clara mir beim Anziehen der vielen Röcke, der bestickten Bluse und beim Binden des Kopftuchs. Ich erkannte mich kaum wieder in dem kleinen Spiegel an der Wand. Wir lächelten beide glücklich und machten uns Arm in Arm auf den Weg.
Ich bewegte mich auf der Straße mit gemischten Gefühlen aus Angst und Glück. Niemand schenkte uns besondere Aufmerksamkeit, als wir zur einzigen Bushaltestelle des Dorfes gingen. Wir sahen aus wie zwei ganz normale Mädchen. Unterwegs gingen wir in die Kirche, weil Clara die Jungfrau Maria bitten wollte, uns zu beschützen. Wir betraten einen großen Raum. Am Ende des Gangs stand eine Statue der Jungfrau, und auf einem Tisch brannten Kerzen. Außer uns war nur eine alte Frau in der Kirche, die auf Knien Gebete murmelte. Clara zündete eine Kerze an, kniete nieder und bedeutete mir, mich auch hinzuknien. Ich zögerte und blieb stehen, aber sie drängte mich, es ihr nachzutun, und da ich keine andere Wahl hatte, kniete auch ich hin. Ich murmelte ein paar bedeutungslose Worte und sagte das Ave-Maria auf, an das ich mich aus meiner Schulzeit in Michalovce erinnerte. Ich hatte Gewissensbisse, weil ich glaubte, den Gott Israels zu verraten. Mein Herz fing an zu rasen, als auf der Straße zwei Männer in Uniform an uns vorbeigingen, aber sie lächelten uns freundlich zu und gingen weiter. Zuversichtlich stiegen wir in den Bus.
Die Fahrt nach Nitra dauerte etwa eine Stunde. Ich hatte das Gefühl, dass alle mich anstarrten und genau wussten, wer ich war. Mit Sicherheit würde gleich ein Polizist einsteigen und mich verhaften. Aber Clara flüsterte mir zu, dass ich keine Angst zu haben brauche: Ich sähe genauso normal aus wie sie. Es war ziemlich kühl - die Busse waren damals nicht geheizt und ich zitterte vor Kälte in der dünnen Trachtenkleidung, oder vielleicht waren es auch nur die Anspannung und die Angst. Wir kamen nach Nitra, von wo ich mehr als zwei Monate zuvor mit meiner Familie geflohen war. Als wir in Richtung Stadtzentrum gingen, betrachtete ich die Menschen auf der Straße. Wie seltsam es mir vorkam, Menschen frei herumspazieren zu sehen. Sie unterhielten sich ruhig und lachten, Kinder tobten herum, alles schien völlig normal zu sein. Ich kam mir vor wie in einem Traum.
In der Schuhmacherei der Frau saßen Männer und Frauen in einer Reihe, sie beugten sich über die Nähmaschinen, mit denen sie Schuhe aus dem Material, das vor ihnen lag, zusammennähten. Die Maschinen wurden mit einem Fußpedal angetrieben. Ein eintöniges Summen erfüllte den Raum.
Die Eigentümerin, eine hübsche Frau von ungefähr fünfunddreißig Jahren, begrüßte Clara wie eine Freundin. Sie führte uns in ihre Wohnung, die zum Geschäft gehörte und im hinteren Teil des Hauses lag. Clara stellte mich vor, und ich erklärte die Verbindung meiner Familie zu den drei Jungen, für deren Lebensunterhalt sie sorgte. Sie stopfte auch mir etwas Geld in die Hand und deutete mit niedergeschlagenen Augen an, dass auch sie in Kürze möglicherweise deportiert würde. Es kursierten Gerüchte, denen zufolge fortan selbst die Konvertierten wie Juden behandelt würden. Aber, erklärte sie, sie würde die drei Jungen so lange wie möglich unterstützen, und vielleicht würde Gott es ihr vergelten und sie und ihre Familie beschützen. Wir bekamen bei ihr etwas zu essen und zu trinken, und dann gab sie Clara den monatlichen Betrag für die Jungen, den sie in eine Serviette eingewickelt hatte. Wir verabschiedeten uns und machten uns auf den Rückweg.
Ich fühlte mich jetzt freier und selbstsicherer auf der geschäftigen Straße. Es war eine wohltuende Erfahrung, sich frei zu fühlen, nicht den gelben Stern tragen zu müssen und sich vorzustellen, dass alles gut werden würde. Noch viele Tage nach meiner Rückkehr in das Loch beschwor ich dieses Gefühl herauf und sehnte mich nach dem Tag, an dem der Albtraum unseres Lebens unter der Erde ein Ende haben würde.
Die alte Routine ging weiter. Es war unmöglich, in dem Loch Tag und Nacht zu unterscheiden, und die Zeit dehnte sich endlos. Dann, eines Sonntags, kroch Vater zum Ausgang der Höhle, spürte die warmen Sonnenstrahlen und schlug vor, dass wir alle herauskommen und etwas frische Luft schnappen sollten, ohne den Einbruch der Nacht abzuwarten. Die meisten Bewohner des Dorfes seien sonntags in der Kirche oder zu Hause, sagte Vater; sie arbeiteten nicht auf den Feldern, so dass wir fast sicher sein könnten, dass die Luft »rein« sei. Unser
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