Weine ruhig
beschlossen, uns regelmäßig zu treffen, das würde helfen, die ständige Anspannung zu überwinden, und die Zeit würde schneller vergehen.
In den folgenden Tagen kamen die drei Jungen jeden Morgen zu unserem Silo und blieben bis zum Abend. Die Tage wurden kürzer und kühler, und nachts drangen Kälte und Feuchtigkeit durch die Ritzen. Der Winter war nahe, und der Gedanke an die eisigen Winde und den Schnee ließ uns schaudern.
Eines Tages, als Vater von einer seiner Hamstertouren zurückkam, erzählte er, dass er auf einem Feld fast in ein Loch gefallen sei, das er nicht gesehen habe, weil es mit dichtem Gras bewachsen war. Er habe das Loch näher untersucht und eine große Öffnung entdeckt, durch die man leicht hineinschlüpfen konnte. Im Schein der Taschenlampe, die Vincent ihm gegeben hatte und die er stets bei sich trug, wenn er loszog, hatte er dann einen schräg nach unten führenden Gang entdeckt. Neugierig war er hineingekrabbelt und auf einen tief unter der Erde gelegenen großen, warmen Raum gestoßen.
Vater kletterte aus dem Loch heraus und suchte weiter. Er fand ein weiteres Loch, das dem ersten sehr ähnlich war. Dann entdeckte er noch drei Löcher, alle ziemlich dicht nebeneinander. Sofort kam er auf die Idee, dass wir vielleicht in diesen Löchern wohnen und so durch den Winter kommen könnten, ohne entdeckt zu werden. Den drei Jungen, die inzwischen fast zur Familie gehörten, gefiel die Idee. Wir wussten nicht, wozu diese Löcher dienten. Jemand musste sie irgendwann für irgendwelche Zwecke angelegt haben, und jetzt waren sie leer und unbenutzt.
Wir befragten Vincent bei seinem nächsten Besuch und erfuhren von ihm, was es mit diesen Löchern auf sich hatte. Vor vielen Jahren, als er noch ein kleiner Junge war, hatte es hier einen Weinberg gegeben, dort, wo jetzt Weizen angebaut wurde. Einige Familien hatten Keller ausgehoben für die Fässer mit dem neuen Wein, der unter trockenen Bedingungen gären sollte. Nach vielen Jahren, in denen die Winzer fleißig die Weinberge bewirtschafteten und Wein produzierten, wurden sie von einem Fluch heimgesucht - von einer Dürre, die zwei Erntezeiten anhielt. Die Rebstöcke vertrockneten, und sie mussten sie herausreißen. Stattdessen bauten die Bauern nun Weizen an. Sie errichteten die Silos, um das Getreide zu lagern. Nach und nach holten sie alle Weinfässer aus den Erdlöchern, und nun wurden diese Keller seit vielen Jahren nicht mehr benutzt. Es gab ein paar Dutzend davon, in verschiedenen Größen, einige befanden sich direkt unter den Silos.
Vincent sagte, dass es eine gute Idee sei, eines dieser Erdlöcher als Versteck zu benutzen. Er versprach, mit uns in Verbindung zu bleiben und ein- oder zweimal pro Woche Lebensmittel zu bringen. Sein Bruder Pavel würde weiterhin den drei Jungen etwas zu essen bringen, da die Besitzerin der Schuhmacherei dafür aufkomme.
Noch am selben Tag verließen wir den kalten, zugigen Silo, und mit Vincents Hilfe fanden wir einen »Keller«, der relativ groß war und gerade Wände hatte. Wir holten Stroh aus dem
Silo und bauten für jeden von uns einen Schlafplatz, dann zogen wir mit den drei Jungen ein. Der Keller war stockdunkel, weil wir die Öffnung mit Brettern verdeckten, die wir kreuz und quer übereinander legten. Die schmalen Ritzen ließen genug Luft herein, und zur Tarnung streuten wir Stroh darüber. Wir wären nicht im Traum darauf gekommen, dass dieses Loch, das für Mäuse und andere Nachttiere gerade gut genug gewesen wäre, monatelang unser Zuhause sein sollte. Es war Anfang Oktober 1944, und ein langes Kapitel unseres Lebens stand uns bevor.
Das Leben unter der Erde
In regelmäßigen Abständen, wenn der Gestank unerträglich wurde oder die Kellerwände Schimmel ansetzten, zogen wir in eine andere »Behausung« um. Das Leben unter der Erde war von Spannungen, Schmerzen, Angst und Schmutz gekennzeichnet. Doch trotz der demütigenden Umstände waren wir wie eine große Familie, die ein gemeinsames Schicksal verband, und das gab uns ein Gefühl von Sicherheit. Wir stellten einen Tagesplan auf, der außer den Mahlzeiten auch Wasserholen und »intellektuelle« Beschäftigungen enthielt. Zum Beispiel war jeder abwechselnd an der Reihe, eine Geschichte zum Besten zu geben, etwa einen Roman nachzuerzählen. Nur die kleine Miriam war davon ausgenommen. Ich erinnere mich, dass ich Teile aus Herz von Edmondo de Ami-cis erzählte, und andere steuerten ihre Erinnerungen aus Der Graf von Monte Cristo und Die
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