Weine ruhig
bittet. Was sollten wir den Leuten erzählen? Waren es gute oder schlechte Menschen? Wir hatten Glück, denn eine Frau kam heraus, obwohl wir nicht geklopft hatten, und fragte, was wir wollten. Ich sagte, wir suchten nach einer Familie, die versprochen habe, uns zu essen zu geben - das hatte ich mir spontan ausgedacht. Die Frau sagte: >Ich kann euch auch etwas zu essen geben.< Dann musterte sie uns von oben bis unten und sagte: >Ihr seid sicher Jüdinnen, die diesen schrecklichen Transporten entkommen sind, nicht wahr? Aber wo sind eure Eltern? Und wo versteckt ihr euch?< Wir hatten Angst, dass die Frau uns vielleicht zur Polizei bringt, aber es war zu spät umzukehren. Wir erzählten ihr, dass wir Jüdinnen sind, dass wir mit unseren Eltern im Untergrund lebten und Angst und Hunger hätten. Wir sagten ihr auch, dass unsere Eltern und unsere große Schwester nicht gesund seien und Hilfe bräuchten. Die Frau ließ uns in ihr Haus und gab uns eine warme Suppe zu essen und Wurst. Sie hatte kein Essen mehr übrig für euch, deshalb nahm sie uns mit zu ihren Nachbarn, einem jungen Paar mit einem Mädchen. Sie bat sie, uns zu helfen. Die beiden legten einige Sachen in diesen Korb und versprachen, uns später noch mehr zu geben.«
Von diesem schicksalhaften Tag an wurde die Familie Tokoly - das junge Paar mit dem Mädchen - ein Teil unseres Lebens. Sie hatte großen Anteil daran, dass wir überlebten. Diese großzügigen und warmherzigen Menschen versicherten, dass sie alles, was sie nur könnten, für uns tun würden, und wollten kein Geld annehmen, obwohl sie sehr arm waren. Sie versprachen meinen Schwestern, dass sie bei ihren Freunden und Nachbarn Lebensmittel sammeln und sie uns bringen würden, so dass wir nicht mehr ins Dorf kommen müssten und riskierten, von schlechten Menschen gesehen zu werden.
Und tatsächlich, bald nachdem Rachel und Miriam wieder da waren, kam Vincent Tokoly zum Silo und stellte sich vor. Er war etwa dreißig Jahre alt, groß und schlank. Er sagte, dass er uns helfen wolle. Er erzählte, dass sich auch andere Juden im Dorf versteckten und dass viele Dorfbewohner ihnen halfen, auch der Pfarrer. Vincents Bruder Pavel versorgte drei junge Juden, die sich in einem Schuppen in der Nähe versteckten. Vincent schlug vor, dass wir sie kennen lernen, damit wir uns nicht so einsam fühlten. Vielleicht würde es so für uns leichter sein, durch diese schlechte Zeit zu kommen.
Und so gingen wir, zusammen mit Vincent, gegen Abend zur Hütte der drei Jugendlichen. Zwei waren Brüder, sechzehn und siebzehn Jahre alt, der dritte war neunzehn. Sie hatten sehr Schweres durchgemacht und schlugen uns mit ihren erstaunlichen Geschichten in Bann. Es stellte sich heraus, dass die Brüder aus einer Stadt in der Nähe von Michalovce stammten und Vater die Familie kannte. Die Eltern der Jungen waren schon im Jahre 1942 deportiert worden, aber die beiden Brüder waren geflohen. Sie hatten hier und dort Gelegenheitsarbeiten gemacht, waren durch die Slowakei gezogen und hatten sich mit Hilfe falscher Papiere als Nichtjuden ausgegeben. Jan, den älteren Jungen, hatten sie 1944 getroffen, in einem Schuhmachergeschäft in Nitra.
Die Besitzerin des besagten Geschäfts war eine Jüdin, die vor dem Krieg zum Christentum übergetreten war, als sie einen Christen heiratete, so dass sie nicht deportiert wurde. Fast während des gesamten Krieges waren solche Ehen von den antijüdischen Gesetzen nicht betroffen. Erst gegen Kriegsende machte man keine Ausnahmen mehr, und auch die Privilegierten und die Wohlhabenden wurden nach und nach abgeholt. Die Frau aber hatte man scheinbar »vergessen«.
Die gutherzige Frau riet ihnen unterzutauchen; sie gab ihnen Geld und schickte sie zu den Tokolys nach Jarok. Sie und Pavel pflegten seit vielen Jahren geschäftliche Beziehungen zueinander und waren Freunde. Man einigte sich, dass er die drei Jungen in seinem Haus verstecken und sie für ihren Unterhalt zahlen würde. Aber Pavels bescheidenes Haus erwies sich als zu klein, denn er hatte eine große Familie. Deshalb brachte er die drei ein paar Tage später zu der Hütte, die er in der Nähe der Silos besaß. Spätestens jeden zweiten Tag brachte er ihnen etwas zu essen, und am Abend gingen sie ins Freie, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Ab und an gingen sie nachts zu Pavel, um sich zu waschen.
Wir blieben bei den Jungen, bis es dunkel wurde. Wir unterhielten uns angeregt, erzählten uns unsere Erlebnisse und tauschten uns aus. Wir
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