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Weine ruhig

Weine ruhig

Titel: Weine ruhig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aliza Barak-Ressler
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konnte der Versuchung nicht widerstehen und steckte einen Lippenstift, einen Kamm und ein Fläschchen mit Parfüm ein. Am Abend war ich wie gelähmt vor Angst, dass man mich durchsuchen würde. Ich schimpfte mit mir selbst, weil ich so dumm gewesen war, mich wegen solcher Kinkerlitzchen in Gefahr zu bringen. Aber wieder wurde ich nicht durchsucht.
    An meinem dritten Tag nahm ich nichts - zum Glück, denn an diesem Tag wurde ich gefilzt. Danach wagte ich nicht mehr, irgendetwas einzustecken. Einmal fand ich sogar eine Brieftasche mit Geld, und ich gab sie am Ende des Tages ab. Der Wächter freute sich - ich bin sicher, dass er das Geld behalten hat.
    Nachdem ich mehrere Tage lang diese persönlichen Sachen sortiert hatte, wurde ich in einen Konferenzraum geschickt, wo ich den Boden fegen und Bilder, Regale und Stühle abstauben sollte. Unter den Bildern an der Wand waren Porträts von Präsident Tiso und seinem Vorgänger Hlinka. Natürlich gab es auch eine Fotografie Hitlers. In der Mitte der Stirnwand hing ein riesiges Kruzifix. Was für eine teuflische Kombination, dachte ich: Der gekreuzigte Begründer des Christentums, der den Menschen Nächstenliebe gepredigt hatte, hing neben den Fotografien von Kriegsverbrechern, die in seinem Namen handelten. Wenn Jesus leben würde, dachte ich, würde er möglicherweise ein zweites Mal sterben, vor Kummer angesichts seiner Anhänger, die jede Ähnlichkeit mit Menschen verloren hatten und die Angehörigen seines eigenen (jüdischen) Volkes ermordeten.
    In den folgenden Tagen sortierte und putzte ich abwechselnd. Als ich eines Tages nach der Arbeit in den Keller kam, war eine neue Familie zu uns gestoßen. Ein Elternpaar mit zwei Kindern, einem Sohn und einer Tochter, beide etwa zehn Jahre alt. Sie sagten, sie seien von den Leuten, bei denen sie sich versteckt hätten, verraten worden, obwohl sie der Familie viel Geld gegeben hätten. Mit der erhöhten Zahl der Inhaftierten wuchs das Risiko, deportiert zu werden.
    Die Alliierten bombardierten Nitra, und wir beteten, dass eine Bombe unser Gebäude treffen würde, auch wenn uns das in Gefahr brächte. Es war der 21. Dezember 1944. Durch die schmale Öffnung des Kohlenkellers sahen wir, dass sich auf den Gehwegen der Schnee türmte. Wir waren froh, dass wir nicht frieren mussten.
    Am nächsten Tag wurde ich wieder in eines der Büros zum Putzen geschickt. Als ich gefegt hatte und anfing, die Stühle abzustauben, kam ein Wachmann ins Zimmer. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Er sagte nichts, beobachtete mich nur. Aus den Augenwinkeln sah ich einen breitschultrigen Mann mit schütterem Haar, ältlich - obwohl er vielleicht erst vierzig war und mir nur alt vorkam. Ich hatte Angst, dass er etwas an meiner Arbeit auszusetzen hatte, und konzentrierte mich aufs Staubwischen. Ich hob einen Stuhl hoch, kippte ihn auf die Seite und wischte die Vorderbeine, dann kippte ich ihn in die andere Richtung und wischte die Rückseite. Ich war so sehr in meine Arbeit versunken, dass ich nicht bemerkte, wie der Mann sich mir von hinten näherte. Plötzlich spürte ich seinen Atem im Nacken, er stank nach Alkohol. Der Mann drückte sich von hinten an mich, schlang seine Arme um meine Taille und zischte: »Lass den Stuhl und komm her. Ich werde dir nicht wehtun. Du bist ein schönes Mädchen, jammerschade um dich...« Und dann brach er plötzlich in Gelächter aus. Er beugte sich zu mir herunter und wollte mich küssen. Ich stieß ihn zurück und riss mich los. Obwohl ich schrecklich aufgeregt war, gelang es mir zu sagen: »Entschuldigen Sie, mein Herr, lassen Sie mich! Ich bin erst vierzehn. Sie werden doch eine Frau zu Hause haben.«
    Der Wachmann hatte nicht damit gerechnet, dass ich mich so kühn zur Wehr setzen würde. Er sah mich sprachlos an und ging, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer.
    Eine Zeit lang blieb ich wie angewurzelt stehen, unfähig, mich zu bewegen, ich zitterte am ganzen Körper. Ich konnte kaum fassen, dass der Mann einfach gegangen war, ohne sich an mir zu befriedigen.
    Am Abend erzählte ich den anderen unter Tränen, was geschehen war. Wir diskutierten über die Reaktion des Wärters und kamen zu dem Schluss, dass er vielleicht eine Tochter in meinem Alter hatte, an die ich ihn mit meinen Worten erinnert hatte. An den folgenden Tagen fürchtete ich ständig, irgendwelchen Wächtern zu begegnen, denn beim nächsten Mal würde eine solche Begegnung vielleicht anders enden. Später erfuhr ich, dass

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