Weine ruhig
mit einem der Wächter »angefreundet«, der mehr als froh war, dass nicht nur ihm, sondern auch seinen Kollegen und Bekannten Schuhe angefertigt oder repariert wurden. Dieser Wärter versteckte Josef vor jeder »Aktion«. Wenn eine neue Gruppe von Juden in den Keller gebracht wurde, hatte er Angst, dass er nun auch selbst an die Reihe kommen würde, wenngleich er stets hoffte, dass er verschont bliebe. Er berichtete, dass es einmal täglich Essen gebe und dass die Gefangenen arbeiten müssten. Sie schippten Kohlen.
»Betet, dass sie keine Juden mehr finden, weil sie uns dann nicht deportieren werden«, sagte Josef. Wir fragten nach der Mindestzahl von Juden, die für die Zusammenstellung eines Transports - nach seiner Erfahrung - erforderlich sei. Er sprach von fünfundzwanzig bis dreißig. Die Juden aus diesem Gefängnis würden mit Juden aus einem anderen Gefängnis zusammengelegt und dann gemeinsam nach Osten verschickt.
Im Gefängnis
Das Gefängnis schien die letzte Station unserer Wanderschaft zu sein. Die Zeit des Herumirrens und der unvorhergesehenen Begegnungen war vorüber. Wir schlössen unseren Frieden mit dieser letzten und unumkehrbaren Situation. Körper und Seele waren ausgelaugt nach diesen zweieinhalb Jahren der Flucht und der ständigen Suche nach einem Versteck, nach einem Leben voller Schmutz und Erniedrigung. Das Gefängnis bot uns Schutz vor Kälte und Regen. Außerdem bedeutete es das Ende der Ungewissheit.
Jeder von uns hatte eine schmale Matratze bekommen. Die riesigen Öfen, die sich im Keller befanden, gaben eine enorme Hitze ab, und die Luft war stickig.
Josef, der Schuhmacher, berichtete uns über den Gefängnisalltag. Die Aufseher versteckten ihn nicht nur, wenn ein Transport angesetzt war, sondern sie brachten ihm auch viel besseres Essen als den übrigen Gefangenen, und sie gaben ihm sogar Geld für Zigaretten oder Fleisch. Inzwischen hatten wir nichts mehr, weder Geld noch etwas, was sich zu Geld machen ließ. Die Essensportionen, die wir täglich bekamen, waren winzig.
An unserem zweiten Tag im Gefängniskeller begannen wir, die Räumlichkeiten zu erkunden. Besonders fasziniert waren wir von den dicken Rohren, die an den Wänden und den Decken entlangliefen und die Hitze im Gebäude verteilten. Hinter einem dieser Rohre entdeckten wir einen losen Backstein. Vater, neugierig wie immer, entfernte ihn, und zu unserem Erstaunen kam ein praller, mit einer Schnur zugebundener Beutel zum Vorschein. Er enthielt, wie sich herausstellte, eine große Geldsumme und eine teure Taschenuhr an einer langen Silberkette. Juden müssen diesen Schatz versteckt haben, ehe ihre grausamen Häscher ihnen alles abnehmen konnten, dachten wir. Vielleicht hofften sie, eines Tages wieder zurückzukommen und ihr Eigentum zurückfordern zu können. Wir wussten, das es nicht möglich sein würde, die Eigentümer ausfindig zu machen, und beschlossen, nicht zu riskieren, dass die Wachen das Geld fänden, sondern es selbst zu verwenden. Wir hofften, dass noch andere Wertsachen im Keller versteckt waren, aber unsere Suche blieb erfolglos.
Wir waren sehr glücklich über unseren Fund, denn mit dem Geld konnten wir unter Umständen unsere Lage verbessern
- vielleicht konnten wir sogar eine Wache bestechen, um nicht deportiert zu werden. Inständig hofften wir, dass sie keine Juden mehr fangen würden - mit nur acht Personen würden sie keinen Transport zusammenstellen.
In der Zwischenzeit mussten die Männer Kohlen schippen
- außer Josef, der einen eigenen kleinen Bereich hatte, in dem er unter Aufsicht Schuhe reparierte. Wenn sie die Kohlenkeller voll geschippt hatten, mussten sie die Öfen beheizen. Eine Wand des Kohlenkellers war eine Außenwand. Die dort aufgeschichtete Kohle reichte fast bis zur Decke. Tag für Tag wurde der Haufen kleiner, bis eine lange, sehr schmale Öffnung zum Vorschein kam. Jede neue Fuhre Kohle wurde durch diese Öffnung in den Kohlenkeller geschippt.
Manchmal begleiteten wir Mädchen die Männer und sahen durch die Öffnung die Menschen auf dem Gehweg. Wir konnten nur ihre Beine sehen, etwa bis zum Knie, und versuchten, an der Größe und dem Stil der Stiefel zu erkennen, ob es sich bei der jeweiligen Person um einen Erwachsenen handelte oder um ein Kind, einen Mann oder eine Frau. Es war wie ein Filmstreifen, dessen obere Hälfte man abgeschnitten hatte. Die Welt außerhalb des Gefängnisses kam uns wie ein Märchen vor, das nichts mit unserem Leben zu tun hatte. Auf der
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