Weine ruhig
Weihnachten in Michalovce: Die Straßen waren geschmückt und hell erleuchtet, und die Weihnachtsbäume auf den Plätzen verliehen der Stadt einen festlichen Glanz. Der Kontrast zwischen dem leuchtend weißen Schnee und dem dunklen Grün der Bäume hatte mich als Kind stets besonders beeindruckt. Aber heute Nacht würde alles dunkel sein - die Straßenlaternen brannten nicht, es gab keine geschmückten Bäume auf öffentlichen Plätzen, und kein bunter Lichterglanz würde aus den Fenstern auf die Straßen fallen - weil Krieg war und Bomben fielen, ohne Rücksicht auf Weihnachten. Das war unsere Chance. Nach Einbruch der Dunkelheit würden wir unseren Plan ausführen.
Die Zeit verging quälend langsam. Da ich nicht arbeiten musste, ging ich zum Kohlenkeller, um den Männern bei der Arbeit zuzusehen - Vater, den drei Jungen und Herrn Simon. Ich sah ihren rhythmischen Bewegungen zu. Sie schoben die Briketts auf die breiten Schaufeln und warfen sie in die Kisten. Ronny biss die Zähne zusammen: Sein Fuß tat höllisch weh, aber er bestand darauf zu arbeiten, damit die anderen nicht seinetwegen mehr arbeiten mussten.
Ich betrachtete die enge Öffnung, durch die wir ins Freie kriechen sollten. Es schien unmöglich zu sein. Vielleicht würden wir Kinder es schaffen, aber die Erwachsenen? Natürlich waren sie dünn, nachdem sie monatelang wenig und schlecht gegessen hatten, aber sie waren immer noch breiter als wir Kinder. Und selbst wenn wir es schafften - was würde uns draußen erwarten?
Jeder Passant, jeder Betrunkene, dem wir auf der Straße begegneten, konnte uns ausliefern. Ich versuchte, mir alle Zweifel und Sorgen auszureden, aber es wollte mir nicht recht gelingen. Wie würden die Wachleute reagieren, wenn sie unsere Flucht bemerkten? Sie waren für uns verantwortlich, und sie würden sich daher umso mehr anstrengen, uns zu fangen und zu bestrafen, nicht zuletzt, um nicht selbst bestraft zu werden.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu. Jeden Moment würde der Wachmann kommen, den Kohlenkeller abschließen und uns unseren Tee und das Brot bringen, so wie jeden Abend. Wir warteten auf ihn und waren sehr nervös. Unsere wenigen Kleidungsstücke und die Steppdecke hatten wir mit einer Schnur zusammengebunden, die wir gefunden hatten.
Unsere Anspannung wuchs, als wir die Schritte des Wachmanns hörten. Würde ihm etwas an unserem Verhalten auffallen? Nein - er hatte es eilig. Er stellte das Essen ab, ver-schloss den Kohlenkeller, steckte die Klinke in die Tasche und ging sofort wieder. Als seine Schritte verklungen waren, gingen wir ein letztes Mal in allen Einzelheiten unseren Plan durch. Bald würden wir die Tür zum Kohlenkeller mit der gestohlenen Klinke öffnen. Einer von uns würde an der Treppe Wache stehen und die anderen warnen, sollte er jemanden kommen hören. Wir einigten uns auf die Reihenfolge, in der wir ausbrechen würden. Die Familie Simon würde zuerst gehen, dann wir, und schließlich Josef und die drei Jungen.
Der Abend kam. Vater steckte den Metallgriff in den Schlitz der Kohlenkellertür, drehte ihn - und die Tür ging auf. Wir schwiegen, doch unsere Herzen hämmerten wie wild. Die Familie Simon verabschiedete sich von uns mit Umarmungen und Küssen, und wir wünschten ihnen mit zitternder Stimme alles Gute und viel Glück. Sie hatten sich für eine andere Fluchtroute entschieden und würden nicht mit uns gehen. Sie betraten den Kohlenkeller und stiegen über den Kohlenhaufen zum Fenster. Mühsam gelang es Herrn Simon, durch die enge Öffnung zu kriechen. Dann wartete er auf dem Gehsteig. Die beiden Kinder folgten. Ihre Mutter schubste eins nach dem anderen in die Arme des Vaters. Eine Minute später verschwand auch sie durch die Öffnung.
Gerade als wir an der Reihe waren, hörte unser Posten jemanden kommen. Wir erstarrten. Panik ergriff uns. Wir waren verloren. Vater schloss die Tür zum Kohlenkeller wieder zu und zog den Griff ab. Wir setzten uns auf unsere Strohmatratzen, als wollten wir uns schlafen legen, und warfen ein paar Kleidungsstücke und die Steppdecke über die Matratzen der Familie Simon. Deprimiert warteten wir darauf, dass die Ereignisse ihren Lauf nahmen. Der Wachmann würde mit Sicherheit bemerken, dass vier Leute fehlten.
Ein junger Mann, ungefähr zwanzig Jahre alt und in der Uniform der Hlinka-Garde, erschien am unteren Treppenabsatz. Er lächelte freundlich, ging zu Josef, seinem Kumpel, und bot ihm eine Zigarette an. Er sagte, er sei einsam, er langweile sich an
Weitere Kostenlose Bücher