Weine ruhig
anderen Straßenseite sahen wir die Güterwagons, in denen die Kohle geliefert wurde. Vielleicht dienten sie auch für den Transport von Juden.
Am Ende eines Arbeitstages hatte der Gefängniswärter eine einfache und wirksame Methode, den Kohlenkeller zu verschließen. Er holte eine Türklinke aus seiner Tasche, steckte sie in die Tür, schloss zu und zog die Klinke wieder ab. So wurde die Tür bis zum nächsten Morgen gesichert. Wenn er die Tür dann morgens wieder öffnete, tat er das Gleiche in umgekehrter Reihenfolge.
An unserem dritten Tag im Gefängnis kam einer der Wärter nach unten und sagte zu Mutter, dass sie sich am nächsten Morgen oben melden solle, um die Büros zu putzen und die Sachen zu sortieren, die die Juden zurückgelassen hatten, als man sie deportierte. Doch da er feststellen musste, dass Mutter nur schlecht Slowakisch sprach, zog er den Befehl zurück. Dann sah er mich und sagte, dass ich anstelle meiner Mutter kommen solle. Er drehte sich um und ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Wir diskutierten ausführlich darüber. Mutter war ganz besonders besorgt: Würde ich mit den Männern allein sein? Sie hatte Angst, dass sie mir etwas antun würden.
Für mich war es eine Chance, den staubigen Keller zu verlassen, aber ich wusste nicht, ob ich darüber glücklich oder traurig sein sollte. »Dort oben« würde ich saubere Luft einatmen können, aber der Gedanke, von meiner Familie und den Jungen getrennt zu werden, machte mir Angst. Außerdem, dachte ich, würde ich die Arbeit vielleicht gar nicht schaffen, weil ich keine Erfahrung hatte.
Am nächsten Morgen kam der Wärter und befahl mir, ihm nach oben zu folgen. Mutter versuchte einzuschreiten. Sie erklärte dem Wärter, dass ich nur ein Mädchen sei und noch nicht arbeiten könne. Aber der Wärter schnauzte sie an. Sie solle ihren Mund halten.
Wir stiegen ein paar Stufen hinauf. Jede Stufe führte mich weiter von meiner Familie weg und ließ mein Herz noch lauter schlagen. Schließlich verließen wir das Treppenhaus und kamen in einen großen, hell erleuchteten Saal, in dem persönliche Sachen aller Art verteilt lagen.
Der Wärter befahl mir, die Sachen zu sortieren: Kleidungsstücke auf einen Haufen, Schuhe auf einen anderen und so weiter. Er warnte mich, nichts für mich selbst abzuzweigen. Geld und andere Wertsachen müsste ich den Wachen aushändigen. Am Ende des Tages würde man mich durchsuchen, sagte er. Sollte man gestohlene Gegenstände bei mir finden, würde man mich schwer bestrafen. Als er sich umdrehte und gehen wollte, fragte ich ihn, warum die Leute ihren Besitz zurückgelassen hätten. Er antwortete, dass pro Kopf nur maximal zwanzig Kilogramm erlaubt seien. Der restliche Besitz sei daher konfisziert worden, »zum Wohle des Staates«.
Der Wärter ging und schloss die Tür hinter sich ab. Ich sah auf die riesigen Haufen und war unendlich traurig. In jedem Kleidungsstück, das ich hochhob, fühlte ich noch die Wärme des Körpers, der es einst getragen hatte. Ich fragte mich, wer der jeweilige Eigentümer sein mochte, was ihm geschehen war, wo er sich jetzt wohl befand. Wann würde die Zeit kommen, da man auch unsere persönlichen Sachen sortieren würde?
Ich sortierte die Kleidungsstücke, wie man mir aufgetragen hatte, und durchsuchte die Taschen der Mäntel, Kleider und Röcke. Ich fand keine Wertsachen, aber unzählige Taschentücher. Ein paar steckte ich in meine Taschen, hoffte, dass sie bei der Durchsuchung keinen Verdacht erregen würden. Ich war glücklich, ein paar Stoffstücke horten zu können, da in den nächsten Tagen meine Menstruation fällig war. Am Ende des Arbeitstages, an dem sich niemand die Mühe machte, mir etwas zu essen oder zu trinken zu bringen, so als hätte man mich völlig vergessen, wurde ich in den Keller zurückgebracht. Alle waren erleichtert, dass ich unbeschadet zu ihnen zurückkehrte, und sie gaben mir etwas von ihren Essensrationen. Ich zeigte Mutter die Taschentücher, die ich eingesteckt hatte, und erzählte den anderen, dass man mich weder durchsucht noch gefragt habe, ob ich etwas an mich genommen hätte. Doch ich versprach, dass ich mich unter gar keinen Umständen in Versuchung führen lassen würde.
Der nächste Tag verlief wie der vorherige. Über Nacht waren neue Sachen geliefert worden, offenbar aus anderen Gefängnissen. Diesmal waren es nicht nur Kleidungsstücke, sondern auch Brieftaschen mit Familienfotos, Make-up, Kämme, Bürsten, Seife, sogar Parfümflaschen. Ich
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