Weine ruhig
diesem Heiligen Abend. Seine Freunde seien alle bei ihren Familien, und er sei fast allein auf der Wache. Sein Atem roch nach Alkohol, und seine Augenlider waren schwer. Er war offensichtlich betrunken. Hin und wieder sah er sich um, redete und lachte, sagte, dass er glücklich sei, weil es an Weihnachten keine Luftangriffe gebe. Er legte sich auf eine Matratze und blieb bis spät in die Nacht, derweil wir im Stillen beteten, dass er nicht nach den fehlenden Gefangenen fragen würde. Möglicherweise wusste er gar nichts von der Familie Simon, so dass ihm ihr Fehlen auch nicht auffiel. Endlich stand er auf, reckte sich, wünschte uns eine gute Nacht und frohe Weihnachten. Er ging die Treppe hoch und verschwand. Wieder waren wir einem Unglück entkommen! »Der Himmel ist uns gnädig«, flüsterte Vater.
In größter Eile zogen wir uns an und schnürten wieder die Steppdecke und die Kleidungsstücke zusammen. Vater schloss wieder die Tür auf und kletterte auf den Kohlenhaufen. Er erinnerte uns daran, dass wir, sobald wir auf dem Gehsteig wären, über die Straße rennen, in den Güterwagon klettern und dann auf die anderen warten sollten.
Mutter kroch als Erste hinaus - sie hatte keine Schwierigkeiten, sich durch die Öffnung zu zwängen, weil sie so dünn war -, dann folgten wir drei Mädchen, eine nach der anderen. Die winterliche Kälte war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich rannte mit Mutter und meinen Schwestern zu dem Wagon, wir kletterten hinein und schauten gebannt auf die Kelleröffnung. Wir sahen Vater hinauskriechen und dann darauf warten, dass die Jungen ihm die Steppdecke durch das Fenster schoben. Er zog am anderen Ende, aber die Daunendecke blieb stecken. Er konnte sie nicht herausziehen. Damit der
Stoff nicht zerriss und die Federn verstreut wurden, schob Vater die Decke wieder in den Keller zurück. Immer wieder versuchten sie es, immer mit dem gleichen Ergebnis, und trotz der ernsten Lage mussten wir lachen, weil es so komisch war. Dann gab Vater den Jungen im Keller ein Zeichen, und die Steppdecke wurde zurückgezogen und war nicht mehr zu sehen. Plötzlich machte Vater ein paar Schritte zur Seite und bückte sich, als wollte er seinen Schuh zubinden. Ein Gruppe von Leuten näherte sich, sie lachten laut und waren gut gelaunt. Sie schubsten sich gegenseitig und amüsierten sich, wahrscheinlich waren sie betrunken. Sie hatten Vater offensichtlich erschreckt. Aber sie gingen vorbei, ohne ihn zu beachten.
Als die Nachtschwärmer um die Ecke verschwunden waren, ging Vater wieder zur Öffnung und signalisierte den Jungen, dass sie die Steppdecke wieder hindurchschieben sollten. Wieder blieb sie stecken, aber wir wussten, dass Vater nicht aufgeben würde. Angesichts der extremen Kälte war die Steppdecke unsere einzige Chance, nicht zu erfrieren. Deshalb beharrte Vater so sehr darauf, sie mitzunehmen. Schließlich schafften sie es. Vater hielt die Decke in seinen Händen, er legte sie sich über die Schulter und rannte zu uns. Dann erschienen Josef und zwei der Jungen, einer nach dem anderen rannten sie über die Straße.
Wir waren alle wohlbehalten in dem Wagon, bis auf Eli, Ronnys Bruder. Wir warteten und warten, aber er erschien nicht. Was hielt ihn auf? Wir strengten unsere Augen und Ohren an, falls er uns rief oder uns ein Zeichen gab, aber wir hörten und sahen nichts. Vielleicht hatte man ihn erwischt. Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Josef verlor die Geduld und beschloss zu gehen. Er sagte, er würde einen Bekannten aufsuchen, der ihn verstecken könnte. Wir verabschiedeten uns tief bewegt. Auch wenn wir uns erst kurze Zeit kannten, die gemeinsam durchstandene Haft hatte uns einander sehr nahe gebracht, und wir sorgten uns um ihn wie um einen nahen Verwandten.
Wir warteten lange auf Eli. Dann entschlossen wir uns schweren Herzens, ohne ihn zu gehen. Jede weitere Verzögerung würde bedeuten, dass wir Jarok nicht mehr im Dunkeln erreichen und sicher in einen der Weinkeller gelangen würden - der einzige Ort, der uns für die nächste Zeit Schutz bieten konnte. Ich sah die Enttäuschung und den Kummer in Ronnys Augen. Er zögerte. Sollte er mitkommen und seinen Bruder einem unbekannten Schicksal überlassen oder auf ihn warten? Schließlich ließ er sich überzeugen, dass er nichts für dessen Rettung tun konnte, und ging mit.
Vater trug die zusammengerollte Steppdecke, während meine kleine Schwester Miriam auf den Schultern des älteren Jungen, Jan, saß. Die Straßen waren leer,
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