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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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stärker werdenden Regen zu verwandeln und ließ uns keine andere Wahl. Also rein in die Mühle, dachte ich.
    Nachdem wir eine sichere Ecke gefunden hatten, legten wir uns in die nach Holz duftenden Späne und erzählten gruselige Geschichten. Plötzlich hörten wir in der Nähe eine Männerstimme. Wir verstummten. Wie versteinert lagen wir da; keine wagte sich zu bewegen. Jetzt näherten sich Schritte. Erleichtert atmeten wir auf, als wir die Stimme unseres Lehrers erkannten. Vor Freude sprangen wir kreischend aus dem Versteck und lachten uns über die erschrockenen Ausrufe der Jungs halb tot. Nach und nach trafen alle ein. Die Erzieher beschlossen abzuwarten, bis der starke Regen vorbei war.
    Die Raucher rauchten, die Erzieher meckerten, weil sie nicht sahen, wer qualmte, und wir redeten und gackerten laut herum.
    Es war eine schöne, aber auch aufregende Situation, in der wir uns befanden. Plötzlich hörte ich Carsten. Er lag dicht neben mir und versuchte, mit Streichhölzern Licht ins Dunkel zu bringen. Als er feststellte, welches Mädchen neben ihm lag, erlosch die kleine Flamme. Schade, daß ich den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht erkennen konnte.
    Langsam wurde es rundherum ruhiger, nur das Prasseln der Regentropfen auf dem Dach war bald das einzige Geräusch in der Mühle.
    Noch nie hatte ich neben einem Jungen gelegen. Nervös durch Carstens Nähe, fühlte ich nicht die geringste Müdigkeit. Da flüsterte er mir plötzlich ins Ohr:
    »Du, ich habe seit fünf Minuten Geburtstag.«
    »Ach, ja? Na, dann gratuliere ich dir.«
    Plötzlich nahm er mein Gesicht in seine Hände, vorsichtig zog er mich zu sich heran, bis seine Lippen meinen Mund berührten. Mein Herz spielte verrückt, es schlug, als wollte es mir herausspringen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Wie sollte ich mich verhalten? Ich wußte es nicht. Lange hatte ich darauf gewartet und mir vorgestellt, wie es sein würde. Er versuchte, seine Zunge in meinen Mund zu schieben, da riß ich mich los und knallte ihm eine. Nicht, weil er mir zuwider war, sondern weil ich es oft in Filmen gesehen hatte; nach dem ersten Kuß bekamen die Männer eine Ohrfeige. Carsten machte sich, wie die Filmhelden, nichts daraus. Er beugte sich über mich und küßte mich einfach noch mal. Durch meinen ganzen Körper ging ein angenehmes Kribbeln, mir machte das Küssen Spaß.
    Menschliche Berührung und Zärtlichkeit war mir bis dahin fremd. Für mich bestand sie bisher aus einer Notwendigkeit. An der Hand hinterhergezogen zu werden, bedeutete schneller laufen. Gewaschen werden vom Erzieher verband sich mit dem demütigenden Gefühl, schmutzig zu sein. Und das grobe Haarekämmen tat weh, ziepte und veranlaßte mich, es schnell selbst zu lernen. Bei Krankheit verursachte die Berührung meines Körpers durch Spritzen Schmerzen. Antje wurde das Opfer ihrer Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit; sie wurde sexuell mißbraucht und mit einem Kind bestraft.
    Ich kannte keine Küsse. Als ich zum ersten Mal sah, wie sich meine Pflegeeltern küßten, schaute ich peinlich berührt weg. Meine Tage begannen und endeten ohne Küsse. Nun erfuhr ich, welch wunderschönes Gefühl es ist, geküßt zu werden.
    Den Jungs fiel Carstens Geburtstag ein, sie riefen nach ihm. Wir mußten mit dem Küssen aufhören. Sofort war er von der ganzen Klasse umringt. Die Mädchen, wie sollte es anders sein, küßten ihn ab. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatten, verschwanden sie im Dunkeln. Ich fühlte, wie Carstens Hand suchend über meine Jacke glitt. Stocksteif, wie tot, lag ich da. Mein Herz schlug rasend. Sie blieb auf meiner Brust liegen. Jetzt wußte ich endgültig nicht, was ich machen sollte. Eine fremde Hand an meiner Brust. Wenn mich ein Mädchen aus meiner Gruppe so sehen würde, hieße es gleich: »Pfui, die läßt sich anfassen.«
    Sofort breitete sich das schlechte Gewissen in mir aus, und dennoch empfand ich es als ein schönes Gefühl, berührt zu werden. Der Druck seiner Hand verstärkte sich. Dann beugte er sich über mich, so daß er halb auf mir lag. Ich fühlte seinen Körper ganz nah, und wir küßten uns richtig. Auf einmal störte mich seine Zunge nicht mehr. Ich weiß nicht, warum, aber ich riß mich los und sprang auf.
    Es war auch höchste Zeit, denn die Erzieher begannen, uns zusammenzurufen, um den Rückweg anzutreten. Carsten lief mit mir den Weg zurück. Auf dem Hinweg war Uschi noch an seiner Seite gewesen. Ich empfand leise Schadenfreude, nicht nur ihr, sondern allen

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