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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Jacke mit dem Blechschmuck zu sprechen.
    »Ich trage diese Auszeichnungen nur zu besonderen Anlässen, und heute ist ein besonderer Tag für euch und für mich!«
    Dann erzählte er, welche Ehre es für ihn sei, zu uns sprechen zu dürfen. Anschließend rief er alle nach dem Alphabet auf. Ich gehörte zu den ersten drei. Er schüttelte mir die Hand, gab mir die Blumen und das allbekannte Buch, dann fragte er mich:
    »Na, weißt du schon, was du werden willst?«
    »Nee!« antwortete ich.
    Er lächelte mit seinen kleinen Augen durch seine dicke Brille und sagte:
    »Na, nun wird es aber Zeit!«
    Ich fand seine Rederei ziemlich blöd, ich fühlte mich gar nicht so erwachsen, um mir Gedanken darüber zu machen, welchen Beruf ich erlernen wollte.
    Nachdem alle einheitlich mit Blumen und Literatur versorgt waren, hielt Schnitzler noch eine ellenlange Abschlußrede. Er stand unten am Piano, es war totenstill im Saal, da fiel von seiner Sammlung ein Stück ab und rollte übers Parkett unter den Flügel. Wir schauten dem Ding hinterher, das Rollen der Plakette übertönte seine Worte. Gespannt beobachteten wir ihn. Was seine Worte nicht schafften, vollbrachte der Orden. Schnitzler sah ziemlich verblüfft aus, um nicht zu sagen doof. Er wartete, bis sich der Orden nicht mehr rührte, und hielt seine Rede weiter. Aus unseren Reihen kam ab und zu ein Lacher. Als wir den Saal verließen, lag das Ding noch immer unter dem Flügel.
    In der S-Bahn, auf dem Weg zurück, steckte ich die leicht verwelkten Blumen in den Abfallbehälter. Einige andere taten das auch; nicht, weil wir keine Blumenfreunde waren, sondern weil wir uns albern vorkamen, alle mit den gleichen Blumensträußen herumzulaufen.
    Im Heim durften wir das außergewöhnlich reichhaltige Mittagessen im Speisesaal der Lehrer einnehmen. Nach dem Essen folgte zur Krönung mein erstes Glas Wein. Wegen des sauren Geschmacks hielt ich mich lieber an Brause.
    Die Mädchen zeigten sich die Geschenke oder das gesammelte Geld.
    Geld spielte an diesem Tag eine große Rolle, denn jede wollte das meiste haben. Auf Geld waren sie stolz, nicht auf die Eltern oder Verwandten, die sich an diesem Tag einfanden und sich großzügig zeigten. Ich hatte nichts zu zeigen und mußte deshalb keine Freude heucheln.
    Ich bekam weder Geschenke noch waren in einem Glückwunschumschlag Zehnmarkscheine. Na ja, Schicksal, so bist du, dachte ich und ging in den Schlafraum. Von oben bis unten betrachtete ich mich im Spiegel, mein Pubertätspickelgesicht, dazu die unmögliche, aufgedonnerte Frisur und das Kleid für die nette Frau um vierzig. Ich fand mich potthäßlich. Enttäuscht wandte ich mich ab. Plötzlich stand eine meiner Freundinnen hinter mir und hielt mir ihren Lippenstift hin.
    »Mal dich an«, sagte sie. »Wirst sehen, siehst gleich besser aus.«
    Ich fand, mit den roten Lippen sah ich aus wie eine, die will und nicht kann. Aber meine Freundin bewunderte mich und erzählte mir, daß wir zum Kaffeetrinken ins Haus Bucarest fahren würden.
    Völlig fertig von der Lauferei, kam ich mit ihr dort an. Meine Füße bestanden nur noch aus Blasen, unter dem Tisch zog ich die verhaßten Stöckelschuhe aus. Mir graute schon vor dem Rückweg, ich war jedoch nicht die einzige mit diesem Problem. Ein Lehrer, Herr Gott, hatte Mitleid mit uns, und wir durften mit dem Auto ins Heim zurückfahren. Unterwegs erzählte er, er sei einmal als Frau verkleidet zum Fasching gegangen, da hätten ihm die Füße genau so weh getan wie uns jetzt. Beim besten Willen, so richtig konnte ich nur unseren Lehrer als Frau nicht vorstellen und mußte bei dem Gedanken daran lachen.
    Mein erster Gang im Heim führte in den Waschraum. Ich machte mir die Blasen auf und n ahm mit Kernseife ein Fußbad. Die Stöckelschuhe flogen in die nächste Ecke. Obwohl mich die wunden Stellen schmerzten, zwängte ich mich in meine neuen, knallroten Twistschuhe. Für diese von mir heißbegehrten modernen Dinger ließ ich einen Unterrock sausen. Ich freute mich, daß es mir gelang, die Erzieherin davon zu überzeugen, daß ich die Schuhe dringender brauchte als ein altmodisches Unterkleid. Echt Leder mit Brandsohle, die Spitzen stopfte ich mit Watte aus, ein schwacher Versuch, zu verhindern, daß sie sich nach oben bogen. Dann lief ich stolz mit den Schuhen vor dem Spiegel hin und her. Das Kleid tauschte ich gegen einen engen Pepitarock und einen Rollkragenpullover. Dann kämmte ich mir die Haare aus, die mir glatt bis auf die Schultern fielen.

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