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Weinen in der Dunkelheit

Weinen in der Dunkelheit

Titel: Weinen in der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Westgruppen tapeziert. Seelenruhig schaute ich mir alles genau an, da zog er mich am Arm auf seinen Schoß und küßte mich ganz sacht, als wäre ich eine Puppe. Er war einfach lieb zu mir. Weiter passierte nichts. Darüber war ich eigentlich froh, denn vor dem ersten Mal hatte ich immer noch gewaltige Angst.
    Wir hatten uns für den kommenden Mittwoch am Teltowkanal verabredet. Während des Unterrichts dachte ich nur an ihn, die Stunden in der Schule wollten einfach nicht vergehen. Der Weg ins Heim schien endlos.
    Schnell die Mappe in die Ecke, umziehen und zu ihm, dachte ich. Gerade als ich die Treppen am Büro vorbei nach oben stürmte, bremste mich die Stimme im Lautsprecher, der in jeder Etage hing:
    »Ursula, bitte sofort zur Heimleitung.«
    Was denn nun schon wieder, dachte ich. Ach, erstmal umziehen, ich wollte keine Zeit verlieren. Fröhlich klopfte ich an die Bürotür, hoffentlich dauerte es nicht lange!
    Kuhauge bat mich scheinheilig auf die Couch.
    »Was machst du heute im Ausgang?« fragte sie mich.
    Ich dachte, ich höre nicht richtig.
    »Das geht Sie überhaupt nichts an«, sagte ich.
    Ein langes »O doch, meine Liebe« zischte aus ihrem grell übermalten Mund. »Solange du nicht volljährig bist, bin ich für dich verantwortlich. Hast du einen Freund?«
    Nun reichte es mir. Ich stand auf und sagte:
    »Und wenn ich einen hätte, Ihnen würde ich es nie sagen.«
    Sie lächelte noch schmalziger und erwiderte: »Brauchst du auch nicht, ich weiß, daß du einen Freund hast. Er heißt Jürgen und wohnt bei seiner Mutter und Schwester.« Mir verschlug es die Sprache. »Na komm, Kind, setz dich und hör mir zu.«
    Sie erzählte, daß er seiner Mutter große Schwierigkeiten mache und sie deshalb sein Vormund sei.
    »Was soll das hier alles?« fragte ich. »Das hat er mir schon längst erzählt.«
    Ich wußte nicht, daß ausgerechnet meine Heimleiterin sein Vormund war; darüber hatten wir nicht geredet. Dann ertönte der altbekannte Satz:
    »Ich will doch nur dein Bestes, bitte laß die Verabredungen mit ihm, er ist kein Umgang für dich, und außerdem hat er schon eine Freundin.«
    Ich spürte einen Stromschlag durch meinen Körper. Nein, dachte ich, das spinnt sie sich jetzt zusammen, um uns auseinanderzubringen. Ruckartig stand ich auf und sagte mit fester Stimme:
    »Das soll er mir selbst sagen.«
    Gerade ihr hätte ich am allerwenigsten gezeigt, wie
    ich mich nach diesen Worten fühlte.
    »Gut«, sagte sie, »ich wußte, daß du vernünftig bist.«
    Viel zu wütend, um zu heulen, hatte ich plötzlich keine Lust mehr, zum Treffpunkt zu gehen. Aber ich wollte sein Gesicht sehen, wenn ich ihm das erzählte. Also ging ich mit klopfendem Herzen zu der Verabredung und wünschte, die Heimleiterin hätte nicht recht.
    Ich stand auf der Brücke und sah ihn von weitem kommen, wir winkten uns zu, und er lief schneller. Außer Atem, mit fröhlichem Lachen begrüßte er mich.
    Dann erzählte ich ihm, was ich von Kuhauge gehört hatte. Stumm lief er eine ganze Weile neben mir her und schien nachzudenken.
    »Tja«, sagte er, »das haben wir alles meiner Mutter zu verdanken.«
    Ich wollte nur eins wissen:
    »Hast du eine Freundin, ja oder nein?«
    Er nickte. Ich weiß nicht, wie ich es fertigbrachte, so ruhig zu reagieren.
    »Na, dann tschüs, ich wünsch' dir noch was« sagte ich und reichte ihm die Hand. Er hielt sie fest.
    »Sehen wir uns trotzdem mal wieder?«
    »Ich glaube nicht.«
    Meine Tränen zurückhaltend, lief ich zur S-Bahn und fuhr ins Heim. Erika tröstete mich und fand es gemein, daß die Heimleiterin sich in Freundschaften einmischte und sie damit zerstörte. Zwei Wochen
    hatte ich Trauer, dann war ich wieder in Ordnung.
    Weshalb ließen uns die Erzieher nicht in Ruhe unsere eigenen Erfahrungen machen? Alle Verbote wurden immer in unserem Interesse ausgesprochen. Ich dachte über meine Gehorsamkeit nach. Ja, ich war mit Verboten groß geworden. Es war verboten, sich ohne zu fragen von der Gruppe zu entfernen. Es war verboten, über den Rasen zu gehen, das bedeutete fünfzig Pfennig Taschengeldentzug. Es war verboten, beim Essen zu reden. Es war verboten, krumm zu sitzen, deshalb klemmte man mir einen Bügel zwischen Rücken und Oberarme. Es war verboten, zu lügen, zu lieben und zu hassen. Es war verboten zu rauchen. Bücher und Fernsehen aus dem Westen waren auch verboten. Erlaubte man uns noch das Atmen?
    In der Masse der Kinder fühlte ich mich wohl, allein aber schwach und hilflos. Brauchte ich

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