Weinland & Stahl
lassen.
Dann tauchte Heaven in den Tunnel hinein, ging dorthin, wo sie Reuven Lamarr zurückgelassen hatte.
Und wo sie ihn auch fand.
In der Schwärze, in der die NOSTROMO schwamm, funkelte Eis im Mondlicht wie gewaltige Diamanten. Sie schienen Aaron Nomad der letzte Abglanz von Leben hier draußen. Alles andere um ihn herum war tot. Oder wenigstens nicht mehr von dem beseelt, was gemeinhin als Leben galt. Dem, worin sich Angst wecken ließ.
Herrliche, erfüllende, labende Angst...
An der Reling stehend, gewahrte Nomad eine Bewegung neben sich. Ohne hinsehen zu müssen wusste er, wer zu ihm gekommen war.
»So hast du erprobt, was du wolltest?«, fragte er. Seine vage Handbewegung meinte das ganze Schiff.
Der Vampir nickte. »Ich bin bereit.«
»Bist du das?«
Der lauernde Tonfall des Captains entging dem Bleichen. Überzeugt nickte er ein weiteres Mal. »Es gibt nichts, was mich nun noch aufhalten könnte.«
Nach einer Weile, in der sie nur auf die nachtschwarze See hinaus starrten und beide gleichermaßen den eisigen Wind ignorierten, fragte Nomad: »Warum hast du aus mir nicht getrunken? Oder keines deiner Geschöpfe?«
Der Vampir schwieg lange und suchte einmal mehr nach der richtigen Antwort in seinem noch wenig genutzten Fundus.
»Ich weiß es nicht. Etwas... hält mich ab.«
»Bezwinge es. Erprobe auch das«, forderte Nomad ihn auf, und um sein Angebot noch verlockender zu machen, zog er sich selbst den Kragen vom Hals.
Der Vampir sah dorthin, wo jetzt unübersehbar, fast
provozierend
die Schlagader pulsierte und pochte.
»Warum sollte ich es tun?«, fragte er, mehr sich selbst als den neben ihm Stehenden.
»Weil es eine Erfahrung wäre, die du nicht missen solltest«, antwortete Nomad.
Die bleichen Lippen des Vampirs zogen sich zurück, gaben den Blick frei auf grauschimmerndes Zahnfleisch, aus dem zwei nadelspitze Hauer hervorstachen. Er beugte sich vor, setzte die Zähne an die Ader und grub sie hinein.
Um schon im nächsten Augenblick fauchend zurückzuweichen!
Er spuckte würgend dunkles Gallert, wischte sich wie von Sinnen über die Lippen und taumelte weiter zurück, bis er hinter Deckaufbauten verschwunden war.
Aaron Nomads finsteres Lachen wehte sturmgleich über die NOSTROMO.
Doch es war nicht Belustigung, die ihn lachen ließ. Sondern die Erkenntnis, dass es doch noch eine Quelle an Bord der NOSTROMO gab, die ihn mit Angst speisen konnte.
Eine gewaltige Quelle, die ihn schier ertrinken lassen würde in köstlicher Angst.
Wie in Gedanken versunken ließ er die Rechte in seine Tasche gleiten und zog ein Sturmfeuerzeug hervor.
Ja, sie
würden
Angst haben. Vielleicht das einzig menschliche Gefühl, zu dem diese blutsaugenden Geschöpfe noch fähig waren...
Heaven beugte sich genau in dem Moment über ihn, als Reuven Lamarr die Augen öffnete.
Wieder
öffnete...
Und wohl nur deshalb konnte sie sehen, was von jedem Flattern seiner Lider ein kleines bisschen mehr ausgelöscht wurde, bis es vollends aus dem Blick seiner dunklen Augen verschwunden war: Erkennen, Grauen und Nichtverstehen. Empfindungen, die sich in dieser kurzen Zeit zu einer lautlosen Anklage formierten, von der Heaven wusste, dass sie noch entsetzlich lange in ihr nachhallen würde.
Was
hast
du
mir
ANGETAN?
Würde es denn nie enden? Musste auch künftig jeder, der ihren Weg kreuzte und ihn ein Stückweit mit ihr teilte, mit dem Leben dafür büßen?
Sanft berührte Heaven die dunklen Male an Reuvens Hals. Sie hegte die verzweifelte Hoffnung, dass mit all den anderen Veränderungen, die in ihr vorgegangen waren, sich vielleicht auch ihre Macht verändert hatte. Dass sie sich nicht mehr nur zur Zerstörung und Vernichtung nutzen ließ, sondern auch zur –
– Heilung?
Die Lächerlichkeit des bloßen Gedankens wurde Heaven bewusst, kaum dass sie ihre Finger an Reuvens verkrustete Narben gelegt hatte.
Nichts von dem, was mit ihr geschehen war und noch geschah, war als
Belohnung
gedacht.
Sie wurde mit all dem
bestraft
!
Nur
bestraft!
Sie sollte büßen für alles, was sie zuvor getan und angerichtet hatte!
Jeder Schritt, den sie ihrem aufgebürdeten neuen Ziel näherkam, würde ein kleines, ein winzig kleines Stück ihrer Schuld abtragen.
Reuven Lamarr war auf dem Weg dorthin nur ein Staubkorn, das unter ihrem ersten Schritt zertreten worden war. Wie viele würden sein Schicksal noch teilen müssen?
Ein gespenstischer Laut wehte durch das Dunkel des Tunnels. Heaven erschauerte darunter,
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