Weinland & Stahl
Schicksal Mariah wohlgesonnen.
Was in ihr war, drängte mit geradezu unvorstellbarer Macht ans Licht der Welt.
Und fast wie von selbst.
Von der Geschwindigkeit, in der alles geschah, schien selbst die Ehrwürdige Mutter überrascht. Sie kam kaum dazu, Hand anzulegen.
Die junge Nonne schrie, als
es
kam.
Ihr Unterleib bewegte sich in Krämpfen; etwas darin schien ihn mit Gewalt verformen zu wollen. Etwas Dunkles drängte von innen gegen die Öffnung. Blut floss, und Rebecca spürte Übelkeit wie eine steinerne Faust in sich hochjagen. Doch sie beherrschte sich mühsam und schluckte das Bittere, das ihren Mund füllen wollte, tapfer wieder hinab.
Etwas wie eine klitschnasse, haarige Kugel schob sich aus Mariahs Vagina, presste sich hindurch wie durch eine zu engen Manschette.
Jetzt erst bot sich der Mutter Oberin die Gelegenheit, etwas zu tun. Sie griff nach dem Köpfchen, um –
Sie
wollte
es tun. Doch sie hatte es kaum berührt, als der winzige Körper bereits nachfolgte.
Und dann lag es da.
Mariahs Kind.
Ihr Sohn.
Mit seiner Mutter noch durch einen Strang verbunden, den die Ehrwürdige Mutter mit einer Schere, die sie zuvor in einer Kerzenflamme sterilisiert hatte, durchtrennte und abband.
Rebeccas Gedanken überschlugen sich.
Sie sah das kleine Kind mit der runzligen Haut, das stumm dalag und sich kaum rührte. Sie sah es – und verstand doch überhaupt nichts.
Mariah stöhnte und wimmerte noch immer, und Rebecca wusste nicht, ob vor Schmerz oder wegen der bloßen Erinnerung daran.
Die Mutter Oberin nahm derweil das Neugeborene auf, wusch es und wickelte es in Tücher. Sie tat es mit stoischer Miene und behandelte den kleinen Jungen wie einen toten Gegenstand. Nicht ohne Sorgfalt, aber ohne eine einzige der Gefühlsregungen, die Babys doch in jedem Menschen entfachen mussten.
Auch in Rebecca.
Sie trat näher, um Mariahs Kind in Augenschein zu nehmen und um vielleicht einmal über seine Wange zu streichen, die von fast unvorstellbarer Zartheit sein musste.
Doch die Ehrwürdige Mutter ließ es nicht zu. Als Rebecca behutsam die Finger ausstreckte, entzog sie ihr das immer noch stumme Bündel hastig, indem sie sich zur Seite drehte.
"Ich möchte doch nur...", begann Rebecca verwirrt.
"Nein."
"Warum? Ich..."
"Niemand von uns sollte irgendeine Art von Beziehung zu dem Balg aufbauen", erwiderte die Oberin scharf.
"Ich wollte es nur einmal streicheln", sagte Rebecca.
Die Ehrwürdige Mutter schüttelte den Kopf.
"Was soll mit dem Kleinen geschehen?" wollte Rebecca dann wissen.
"Ich werde ihn von hier fortbringen", erklärte die Oberin.
"Fortbringen?"
"In ein Waisenhaus, dessen Leiterin mir bekannt ist."
Rebecca wies mit einer Bewegung ihres Kinns auf den Kleinen.
"Er ist nicht das erste Kind, das sie dorthin bringen."
Die Ehrwürdige Mutter wich Rebeccas forschendem Blick aus.
"Und auch nicht das erste Kind, das hier geboren wurde, richtig?"
Scharf stieß die Mutter Oberin die Luft aus und machte schon einen Schritt in Richtung der Tür. "Ich bringe ihn weg. Kümmere du dich um deine – um Mariah", zischte sie.
"Das werdet Ihr nicht tun, Ehrwürdige Mutter!"
Beinahe synchron drehten die Oberin und Rebecca sich um. Mariah hatte gesprochen, und in ihrer Stimme lag eine Kraft, die sie nach der durchlittenen Geburt einfach nicht mehr haben
konnte
.
Aber das war nicht die einzige Überraschung.
Mariah saß aufrecht im Bett, das von Blut und Fruchtwasser regelrecht durchtränkt war. Die Spuren von Erschöpfung und schmerzvoller Qual waren zwar nicht vollends aus ihrem Gesicht verschwunden, aber sie verbargen sich fast hinter etwas anderem – hinter kalter Entschlossenheit und etwas Forderndem, das ihre Züge so hart erscheinen ließ, als wäre jede Linie mit dunklem Stift nachgezeichnet.
"Mein Sohn bleibt hier! Dieser Ort ist sein Zuhause, und hier wird er aufwachsen!"
Sie streckte verlangend die Arme aus, und wie um Mariahs Wunsch, der vielmehr einem Befehl geähnelt hatte, zu betonen, kam endlich auch sicht- und hörbar Leben in den kleinen Körper des Neugeborenen. Der Junge öffnete das Mündchen, in dem Rebecca einen irrigen Moment lang etwas Weißes aufblitzen zu sehen glaubte, saugte den Atem tief ein – und brüllte!
So laut, wie Rebecca es bei so einem winzigen Wesen nie und nimmer für möglich gehalten hätte!
Unwillkürlich trat die Nonne einen Schritt zurück, doch der Schrei schmerzte noch immer in ihren Ohren.
Die Ehrwürdige Mutter indes schien sich daran nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher