Weinland & Stahl
Schloss. Ein bisschen lauter als beabsichtigt, aber Jacob Flannagan war dennoch nicht unfroh darüber. Er hatte dieses angenehm 'echte' Geräusch gebraucht, um festzustellen, dass er sich noch in der wirklichen Welt befand.
Denn draußen, jenseits dieser Tür, war ihm alles ein wenig wie ein irrealer Traum vorgekommen, durch den er wachen Auges ging.
Das Kloster
Saint Catherine's
war nicht mehr so wie bei seinem letzten Besuch.
Und es unterschied sich grundlegend von all den anderen Klöstern in diesem Teil der USA, die er als Monsignore im Auftrag der katholischen Kirche bereiste und inspizierte.
Doch das eigentlich Merkwürdige daran war, dass Flannagan nicht wusste,
was
hier anders geworden war. Ein bisschen glaubte er, es würde ein auf unbestimmte Weise 'anderer Geist' in den Mauern herrschen.
Und doch war es ganz, ganz anders...
Es war nicht so, dass er nicht das richtige Wort dafür fand. Vielmehr schien es ihm, als gäbe es das Wort, mit dem sich die Veränderungen in
Saint Catherine's
beschreiben ließen, gar nicht.
Es war nichts wirklich Sichtbares, und wenn er es sich recht überlegte, war es noch nicht einmal spürbar.
Und doch war es da. Auf eine Weise, die er mit seinen Sinnen einfach nicht erfassen konnte.
Jacob Flannagan ließ sich schwer auf der Liegestatt der Kammer nieder, die man ihm für die Dauer seines Besuchs überlassen hatte. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, streckte sich aus und konzentrierte seinen Blick auf einen bestimmten Punkt an der steinernen Decke über sich, als läge in ihm jenes Geheimnis, von dem er nicht einmal wusste, ob es eines war.
Der Geistliche versuchte seine Gedanken zu ordnen, Unwichtiges auszusortieren, so dass nur das Wesentliche übrigblieb. Und es war wenig, was blieb.
Flannagan wollte sich gedanklich zurechtlegen, was ihm im einzelnen seit seiner Ankunft als seltsam aufgefallen war. Und musste feststellen, dass da eigentlich nichts war. Nur – Eindrücke eben, die sich auf etwas bezogen, das unter der Oberfläche war und sich jedem Versuch, es zu greifen, entzog wie eine sich windende und glitschige Schlange.
Vordergründig hatte sich nichts verändert im Kloster.
Die Ehrwürdige Mutter und die Schwestern waren dem Monsignore mit der gewohnten Höflich- und auch Herzlichkeit begegnet.
Und doch – waren sie nicht ein kleines bisschen höflicher und herzlicher gewesen als bei früheren Besuchen? fragte sich Flannagan. Hatte ihr Verhalten nicht irgendwie... aufgesetzt gewirkt? Nicht so sehr, dass es wirklich aufgefallen wäre, sondern nur um gerade das Quäntchen, das es von ihrem früheren Benehmen um so viel unterschied, dass man den Eindruck für einen Irrtum halten musste?
Flannagan rief sich in Erinnerung, was er mit den Klosterfrauen gesprochen hatte. Und stellte fest, dass es wenig war. Nicht so wenig, dass sich ein wie auch immer gearteter Verdacht darauf gründen ließ, und doch wenig genug, um ein Gefühl zu schüren, das in seinen Ausläufern an Misstrauen grenzte.
Die Unterhaltungen waren stets an der Oberfläche geblieben, dort, wo alles so schien, wie es immer war. Als fürchteten die Schwestern, jedes tiefergehende Wort könnte an Dingen rühren, die... ja, die
was
?
Der Geistliche merkte, dass er mit seinen Überlegungen zumindest auf dem richtigen Weg war. Auf diese Weise ließ sich vielleicht erkennen, was hier vorging –
wenn
etwas vorging. Er wusste noch zu wenig, um wirklich an ein Ziel gelangen zu können, aber er würde noch ein paar Tage hierbleiben, um zu beobachten und ohne jemanden zu drängen mehr zu erfahren. Er musste Puzzleteile sammeln, wenn er ein Bild erhalten wollte.
Und er bekam das nächste schneller, als er angenommen hatte.
Ein Schrei zitterte durch die Flure von
Saint Catherine's
.
Laut, durchdringend, und etwas darin ließ den Monsignore fast frösteln.
Obwohl es zweifelsohne kein Schrei war, der aus Angst, Schmerz oder Schrecken geboren wurde.
Es war – ganz bestimmt – der Schrei eines kleinen Kindes...
... das nach seiner Mutter rief?
In einem Kloster?
Jacob Flannagan sprang förmlich von seinem harten Bett.
Er wusste es nicht, aber er fühlte es mit dem untrüglichen Gespür eines Mannes, der es gewohnt war, sich auf unbegreifliche Mächte zu verlassen, dass sich ihm der Grund für die Veränderungen in
Saint Catherine's
eben offenbart hatte.
Er musste nur dem Schreien des Kindes folgen...
Abraham ließ den dürren Körper der Frau achtlos zu Boden rutschen, noch bevor er
Weitere Kostenlose Bücher