Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
Vom Netzwerk:
auf der Bank Platz. Ein gedämpftes Rot beherrschte den gediegenen Raum. Entlang der Wände zogen sich Nischen, und die in der Mitte aneinander gereihten Tische wurden von Kübeln mit hohen Palmen abgeschirmt. Das Haus fühlte sich seiner 150-jährigen Geschichte verpflichtet. Lutz hatte davon abgesehen, wie gewöhnlich im Vorübergehen nach einer Wiesbadener Zeitung, dem ›Tagblatt‹ oder dem ›Kurier‹, zu greifen. Er rechnete jeden Augenblick mit Norma. Außerdem war er viel zu unruhig, um sich der Stadtpolitik und anderen Neuigkeiten zu widmen. Das Gespräch mit dem Polizisten, der die Vermisstenanzeige bearbeitete, hatte ihn aufgewühlt. Der Beamte war gelassen geblieben, beinahe gelangweilt, als sei es nichts Besonderes, wenn ein Mann spurlos verschwand. Das komme öfter vor. Männer um die 40, er wisse schon, und er hatte Lutz vertraulich zugezwinkert, als gehöre es zum Dasein eines echten Kerls, sich für ein paar Tage unsichtbar zu machen. Warum nicht die Ehefrau gekommen sei? Aha, man lebe getrennt. So, so. Vielleicht unternehme der Sohn einen Kurztrip mit seiner neuen Flamme? Genauso hatte er sich ausgedrückt: ›Kurztrip‹ und ›neue Flamme‹. Eine Frechheit! Wie konnte die Polizei die Sorgen eines Vaters dermaßen missachten? Es war nicht das erste Mal, dass Lutz endlose Tage voller Ungewissheit durchstehen musste. Der Gedanke, die Situation könnte sich wiederholen, machte ihm Angst.
    Der Kellner brachte den Kaffee. Gleich der erste Schluck tat gut. Heiß, stark und schwarz: So musste Kaffee schmecken. Lutz hatte kein Verständnis für die Geschmacksverirrungen, diesen köstlichen Trunk mit Milch, Zucker oder Sahne zu beleidigen. Norma, so erinnerte er sich, hatte ihn früher ausnahmslos schwarz getrunken. Neuerdings nahm sie Milch dazu. Viel Milch. Sonst rebellierte ihr Magen. Seit Kolumbien ging das so. Seit Kolumbien war sie nicht mehr dieselbe. Der Abschied von der Polizei, die Trennung von Arthur, ihre häufige Anspannung, die sie vergeblich zu verbergen versuchte, alle diese Veränderungen, darin war er sich sicher, hingen mit Kolumbien zusammen.
    Knapp anderthalb Jahre lag die Reise zurück. Beinahe wäre Norma nicht mitgefahren; quasi in letzter Minute wurden ihr die 14 Tage Urlaub bewilligt. Arthur wollte sich mit seiner bedeutendsten Entdeckung, dem Maler Pablo Lobo treffen, und hatte Norma eingeladen, ihn zu begleiten. Pablo Lobo lebte in einer Stadt im Südwesten und hatte in blühenden Farben vor der Schönheit seiner Heimat geschwärmt. Eine Begeisterung, die beide neugierig machte. Unter den Fittichen eines Einheimischen, so dachten Arthur und Norma, müssten sie sicher reisen können. Ein Trugschluss. Eine Woche nach ihrer Abreise bekam Lutz Besuch von zwei Beamten des Bundeskriminalamtes. Sie überbrachten eine schlimme Nachricht. Norma und Arthur seien aus einem Wagen heraus entführt worden. Vermutlich handelte es sich um eine Verwechslung mit einem deutschen Entwicklungshelfer, der sich für die einheimischen Kaffeebauern einsetzte und dessen Projekt sie besichtigen wollten. Der Entwicklungshelfer hatte den Wagen geschickt. Die Männer vom BKA verhehlten nicht ihre Einschätzung, eine Fahrt durch Kolumbien gliche einem Vabanquespiel. Ob sein Sohn sich keine Gedanken darüber gemacht habe, in ein Land mit den weltweit meisten Entführungen zu reisen? Ein Land, in dem die Opfer oft jahrelang auf ihre Befreiung warten müssten? Wo eine regelrechte Entführungsindustrie herrsche, mit der die FARC ihren angeblichen Freiheitskampf finanziere? Selbst die Leichen der ermordeten Geiseln würden nur gegen Geld freigegeben. Es folgte ein Vortrag über die kolumbianische Guerillaorganisation, eine der ältesten in Südamerika. Lutz gab seine Verteidigungsreden irgendwann auf. Seine Beteuerungen, weder Norma noch Arthur seien fahrlässige Touristen, hätten sich zuvor ausgiebig mit der Problematik befasst und einfach Pech gehabt, wurden nicht ernst genommen. Doch alles ging gut aus, scheinbar gut. Der Spuk dauerte zwei Wochen. Die Interventionen der Bundesregierung, vor allem aber die Verbindungen von Pablo Lobos Familie und das Lösegeld, das entgegen aller Behauptungen floss, beendeten die Entführung. Norma und Arthur kehrten körperlich unversehrt heim. Aber es war etwas geschehen, das Normas Seele verletzt hatte. Ein Vorfall, über den sie nicht sprechen konnte. Nicht sprechen wollte. Jedenfalls nicht mit ihm. Und auch Arthur schwieg dazu.
    Lutz zuckte zusammen, als sie plötzlich

Weitere Kostenlose Bücher