Weinrache
neben ihm stand. Mit diesem Lächeln, das ihn bezauberte.
»Schon vergessen? Wir waren verabredet.«
»Entschuldige, ich war in Gedanken.«
Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber. »Du grübelst über Arthur nach. Was sagt die Polizei?«
»Wir sollen Geduld haben. Er wird flugs wieder auftauchen«, antwortete Lutz sarkastisch.
Norma strich eine helle Strähne hinter das Ohr. Die längere Frisur ließ sie sanftmütig wirken; nein, verbesserte er seinen Gedanken. Diese Bezeichnung traf Normas Wesen nicht. Zurückhaltend. Abgeklärt. Das passte eher.
Sie bestellte Milchkaffee und ein Stück Apfelkuchen. Sie sei über Mittag nicht zum Essen gekommen.
Er wartete, bis der Kellner gegangen war. »Ich habe einen Auftrag für dich. Als Privatdetektivin.«
Sie stützte das Kinn auf die Faust. »Ich lehne ab.«
»Magst du nicht erst einmal hören, was ich von dir will?«
»Du möchtest, dass ich nach Arthur suche. Aber dafür lasse ich mich nicht bezahlen.«
»Aber du wirst trotzdem nach ihm suchen?«
Sie nickte, ohne den Kopf von der Hand zu nehmen. »Ich muss selbst wissen, was los ist. Ist dir bei eurem letzten Zusammentreffen etwas aufgefallen?«
»Eigentlich nicht. Arthur war wie immer.«
»Erzähl mir trotzdem, worüber ihr geredet habt«, bat sie.
Er versuchte sich zu erinnern und berichtete von der Begegnung. Norma hörte aufmerksam zu, trank dabei ihren Milchkaffee und verzehrte den Kuchen. Arthur hatte überlegt, seinen Wagen zu verkaufen. Nicht zum ersten Mal. Eine besondere Spur schien sich auch für Norma nicht aufzutun.
»Wie wirst du vorgehen?«, fragte Lutz.
Sie würde in der Wohnung anfangen, und warum nicht sofort? Norma wollte den Kellner rufen. Dabei schien ihr Blick auf einem Mann zu verweilen, der halb verdeckt von Palmwedeln im Gang wartete und sich suchend umschaute. Ein Typ, den man eher im Sportstudio vermutete als in einem Café.
»Kennst du den Mann?«, fragte Lutz. »Ein Klient von dir?«
»Nicht von Bedeutung«, erwiderte sie und winkte den Kellner heran.
Lutz zog die Brieftasche hervor. »Wenn du kein Honorar akzeptierst, lass mich wenigstens dieses hier übernehmen.«
Der Mann verließ vor ihnen das Café durch die Drehtür und mischte sich unter die Passanten, ohne sich umzusehen. Norma hatte nichts dagegen, dass Lutz sie in Arthurs Wohnung begleiten wollte. Nebeneinander folgten sie der Langgasse im Herzen der Wiesbadener Fußgängerzone. Dort herrschte ein nachmittäglicher Betrieb. Die schmale Einkaufsstraße führte auf das ehemalige ›Hotel Rose‹ zu, einem mehrstöckigen Prachtbau aus der Gründerzeit, der inzwischen die Hessische Staatskanzlei beherbergte. Nach einem Leerstand über viele Jahre war das Gebäude saniert und für das Stadtbild gerettet worden. Das Ergebnis stellte Lutz zufrieden, und er nahm gern einen Umweg in Kauf, um an der Fassade entlangzuspazieren. Doch nun hielt er sich an Normas Seite. Sie schlug den kürzeren Weg zur Taunusstraße ein und bog auf den Kranzplatz ein. Der muffige Geruch, der Lutz in die empfindliche Nase stieg, wehte vom Kochbrunnen herüber. Wenige Schritte gegenüber trat, beschirmt von einem Pavillon, heißes Wasser aus 15 Quellen an die Oberfläche und wurde von einem Brunnen aufgefangen. Wer wollte, konnte seinen Becher unter einen Hahn halten. Das Heilwasser sollte unter anderem gegen Halsschmerzen helfen, hieß es. Lutz hatte es bisher nicht ausprobiert. Norma eilte zielstrebig am Brunnentempel vorbei und schlängelte sich zwischen den Tischen vor dem ›Spital‹ hindurch. Keine 10 Minuten nach ihrem Aufbruch betraten sie den Ausstellungsraum von ›Tanns Antik und Kunst‹. Josef Brunner empfing sie mit der Frage, ob man Neues über Arthur wisse, und händigte Norma auf ihre Bitte den Wohnungsschlüssel aus.
Er deutete auf einen mit Lasagne, Baguette, Pizza und anderen Fertiggerichten gefüllten Karton. »Arthurs wöchentliche Lieferung ist eben angekommen. Ihr erspart mir einen Weg, wenn Ihr die Sachen mit hinaufnehmt.«
Arthurs Essgewohnheiten hatten oft genug zu fruchtlosen Diskussionen geführt. Lutz hob die Kiste auf. Er folgte Norma durch den Hinterausgang in den Hof und stieg hinter ihr die Außentreppe hinauf zum ersten Stock. Der Vorbesitzer des Hauses, ein Sonderling, hatte den Zugang zur Wohnung ins Freie verlegt und die Tür zum Treppenhaus zumauern lassen, als wollte er den Begegnungen mit seinen Mietern entgehen. Norma drückte auf die Klingel und wartete einen Augenblick ab, bevor sie die Tür
Weitere Kostenlose Bücher