Weinrache
Familie gründet, habe ich wie auf einer Insel im Ozean verbracht – abgeschnitten vom richtigen Leben. Ich bin einfach neugierig auf das Leben von Leuten wie dir und deinem Mann. Von normalen Leuten.«
Norma lachte bitter. »Ich glaube nicht, dass unsere Beziehung repräsentativ für das deutsche Eheleben ist. Abgesehen davon, was ist schon normal? Erzähl du lieber von dir! Wie war das im Knast?«
Sie blickte ihn auffordernd an.
Er schnappte sich eine Zwiebel und behielt die emsigen Finger im Blick. Er könne sich nicht vorstellen, dass sie das wahrhaftig wissen wolle, gab er zu bedenken und schwieg mit abweisender Miene, bis die Soße im Topf brutzelte. Norma wischte den Tisch sauber und deckte ihr bestes Geschirr auf. Während des Essens blieben sie vorsichtig und sprachen über Yoga, das er seit Jahren praktizierte. Als Schulung für Körperkraft und Konzentration, wie er meinte.
Später lenkte Norma das Gespräch auf die Architektur. Sie hätte gehört, dass Wiesbadens Stadtbild eine einzigartige Bedeutung für den Historismus besitze. Keine andere deutsche Stadt biete eine solche Vielfalt der Baustile des 19. Jahrhunderts. »Der Architekt Moritz Fischer hat sich sehr für den Denkmalschutz eingesetzt, vor allem mit der ›Villa Stella‹.«
Tiri nahm sich ein drittes Mal von den Nudeln. »Die Bauhaus-Villa. Ich habe natürlich darüber gelesen. Schön für Wiesbaden, so ein Bauwerk zu besitzen.«
»Fischer hat nichts mehr von seiner Entdeckung«, sagte Norma. »Du weißt, dass er erschossen wurde?«
»Ich lebe im Untertaunus, nicht auf dem Mond. Magst du noch?« Er reichte ihr die Schüssel.
Norma hielt sich den Bauch. »Ich bin pappsatt. Und ganz baff, war für leckere Sachen mein Kühlschrank hergeben kann.«
Sie bot ihm einen Espresso an. Die Kaffeemaschine gehörte zu den wenigen Küchengeräten, die sie mitgenommen hatte. Sie wollte sich nicht wie eine Plünderin davonstehlen. Abgesehen davon bot die Küche nur Raum für die notwendigsten Utensilien. Die Kaffeemaschine beanspruchte einen luxuriösen Platzbedarf.
»Habt ihr euch persönlich gekannt?«
Tiri schob den Teller beiseite. »Von wem sprichst du?«
Sie stellte die Tassen auf den Tisch. »Wir waren bei Moritz Fischer!«
Tiri lachte. »Der Stararchitekt soll mich gekannt haben? Machst du Witze?«
Leopold fixierte Tiri mit seinen Bernsteinaugen und sprang mit einem federleichten Satz auf dessen Knie, um sich dort schnurrend niederzulassen. Als Norma ihrem Gast wieder gegenübersaß, kam Tiri aufs Neue auf Arthur zu sprechen. Wenn sie ihn nicht mehr liebe und die Scheidung wünsche, warum mache ihr sein Verschwinden so zu schaffen?
Norma glaubte, sich verhört zu haben. »Soll ich froh sein, dass ich ihn los bin? Oder was meinst du? Der Mann, mit dem ich Jahre meines Lebens verbracht habe, ist verschwunden. Das soll mich nicht berühren?«
Er bat um Entschuldigung. »Mir fehlt die Übung in zwischenmenschlichen Dingen. Wahrscheinlich habe ich mich nie damit ausgekannt. Ich muss dir völlig verroht vorkommen.«
Norma stützte das Gesicht in die Hände. »Ich sollte dich auf der Stelle rauswerfen.«
Er sprang so unvermittelt auf, dass der Kater aus der Küche flüchtete. »Ich gehe sofort, wenn du das willst.«
Wieder der Hundeblick.
»Trink vorher deinen Espresso aus.«
Er hatte, mit zögerlicher Umständlichkeit, wieder Platz genommen, als es an der Haustür klingelte. Norma zuckte zusammen. Womöglich war Lutz von seiner Undine versetzt worden. Wie sollte sie ihm ihren Gast vorstellen? Ach übrigens, das ist meine neue Bekanntschaft Konstantin Sundermann, genannt Tiri, ein beunruhigend netter Typ und verhinderter Totschläger?
Wahrscheinlich war es nur Eva, die früher aus dem Urlaub zurückgekommen war und sich nach dem Kater sehnte. Neben dieser Vermutung keimte die scheue Hoffnung auf, unten vor der Tür könnte Arthur stehen.
23
Draußen auf der Straße war niemand zu sehen. Im Briefkasten steckte ein brauner Umschlag; ohne Adresse und ohne einen Absender. Norma trug den Brief nach oben und legte ihn auf den Tisch. Vermutlich ein Auftrag, gab sie Tiri zur Erklärung. Manche Kunden konnten das Einschalten einer Privatdetektivin nicht konspirativ genug in die Wege leiten.
Tiri betrachtete den nackten Briefumschlag. »Bist du nicht neugierig?«
Norma nahm ein Messer und schlitzte den Umschlag auf. Ohne besondere Erwartungen zog sie einen einfach gefalteten Bogen heraus und klappte ihn auseinander. Ein Mosaik
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