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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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nicht öffnen. Norma stellte sich unter die Dusche und ging danach in die Küche. Auf dem Kühlschrank stand eine angebrochene Wasserflasche. Norma setzte sich damit an den Klapptisch. Gedankenverloren trank sie einen Schluck nach dem anderen und betrachtete die Schatten, die die Gewitterwolken an die Küchenwand warfen. Als Polizistin hatte sie tagtäglich mit ansehen müssen, wie eng die Grenze zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse war. Wie schnell man sich schuldig machen konnte.
    Als sie der Zorn auf Arthur überfiel, hatte sie für einen winzigen Augenblick alles Recht der Welt auf ihrer Seite gesehen.

21
    Über das Wochenende hatte sich die Luft mit jeder Stunde stärker aufgeheizt, bis sich am späten Sonntagnachmittag rauchgraue Wolkengebirge über den Dächern der Stadt aufbauschten. Der aufkommende Wind blies Blätter und Papierfetzen über die Steinstufen, als Lutz das Haus verließ. Er blieb auf der Treppe stehen und warf einen prüfenden Blick in den Himmel. Die Gewitterstimmung ließ selbst die vergoldeten Zwiebeltürme der Russischen Kirche verblassen, die oberhalb der ›Villa Tann‹ durch das Buchenlaub schimmerten. In der Stadt erledigte Lutz viele Wege zu Fuß, oder er nahm den Bus. Bei diesem Wetter wollte er lieber den Wagen benutzen. Der betagte, aber gut erhaltene, weil selten gebrauchte Daimler wartete in der Garage, die Lutz’ Vater vor Jahrzehnten in den Hang am unteren Grundstück hatte einbauen lassen.
    Der Wagen sprang mit einem satten Rumpeln an. Das erste Stück führte steil bergab auf den Neropark zu. Als Lutz kurz darauf durch die Taunusstraße fuhr, vermied er den Blick zu Arthurs Laden mit der darüber liegenden Wohnung. Das beschämende Gefühl des Ausgeliefertseins hielt sich hartnäckig. Die Durchsuchung sei rechtsgültig, lautete die Auskunft des Anwalts, der Lutz am Freitagabend in die Wohnung begleitete. Norma hatte wie versteinert am Fenster ausgeharrt. Sie war ihm so niedergeschlagen erschienen, und einmal mehr musste er sich fragen, was Arthurs ungewisses Schicksal für sie bedeuten mochte. Liebe war da nicht mehr, glaubte er zu spüren. Aber wenigstens Zuneigung, so hoffte er, würde sie für Arthur empfinden. Und Besorgnis um ihn.
    Die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume hatte nichts ergeben.
    Der weitere Weg führte ihn am Kurhaus vorbei. Der Rasen auf dem ›Bowling Green‹, wie die Wiesbadener diesen Platz wohlwollend nannten, schimmerte in einem tiefen Grün, als für einen Augenblick die Sonne durchbrach. Sonntagsspaziergänger schlenderten allein oder mit ihren Familien unter den Platanen entlang der Wilhelmstraße, die weniger optimistischen Stadtbummler hielten sich gegenüber vor den Schaufenstern auf, um sich bei Ausbruch des Regens in eine der Passagen zu flüchten und das Gewitter beim Betrachten der exklusiven Auslagen abzuwarten.
    Es blieb trocken, bis Lutz den linker Hand gelegenen Park, den ›Warmen Damm‹, passiert hatte und in eine Seitenstraße einbog. Dr. Karl-Walter Klempp hatte ihn ausdrücklich in die Praxis gebeten. Die ersten dicken Tropfen fielen, als er das Haus mit der Nummer 12 entdeckte. Eine Parklücke fand sich einige Meter weiter. Er ließ den Schirm im Wagen und trabte die 20 Schritte zu einem Anbau, in dem die Praxis untergebracht war. Klempp streckte ihm die Pranke entgegen. Er war ein kräftiger Mann mit kantigem Gesicht und massigem Oberkörper, und man hätte in ihm eher einen Viehdoktor als einen Veterinär vermutet, der sich vorzugsweise mit Hunden, Katzen und Kleintieren befasste. Aber gerade auf diesem Gebiet galt Dr. Klempp über die Stadtgrenzen hinaus als Kapazität, wie sogar Lutz zu Ohren gekommen war, der kein Tier besaß und in seinem Leben bisher keine Tierarztpraxis betreten hatte. Neugierig sah er sich um. Abgesehen von den Plakaten, die die Anatomie von Hunden und Vögeln zeigten, und einem Schild, das auf die Notwendigkeit von Tollwut-impfungen bei freilaufenden Katzen hinwies, sah es im Flur nicht viel anders aus als bei seinem Zahnarzt.
    Der Mediziner bat ihn in einen Behandlungsraum, ein schmuckloses schmales Zimmer mit einem Tisch in der Mitte, in dessen Zentrum das tote Hündchen lag und auf dem blankgewienerten Chrom so verloren wirkte, dass Lutz schlucken musste. Über die Brust des Tieres zog sich ein langer tiefer Schnitt. Der erste heftige Schauer prasselte gegen die Fensterscheibe, und die Donnerschläge hallten bis in die Praxis hinein.
    Klempp schaltete über dem Tisch

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