Weinrache
konnten ihm keine Geborgenheit geben. Am Anfang hat mir seine Liebe geschmeichelt, und ich hatte Angst ihn zu verlieren, bis ich merkte, dass er mich notwendiger brauchte als ich ihn. Nicht nur, weil ich ihm bei seiner Diplomarbeit geholfen habe.«
»Die Pläne und Modelle, die später zerstört wurden?«
»Hat er dir davon erzählt?« Franziska ließ endlich ihre Frisur in Ruhe. »Hast du überhaupt eine Ahnung, was er getan hat?«
Sie wisse von seiner Vorstrafe, erklärte Norma. »Worum ging es bei der Diplomarbeit?«
»Das fragst du? Darüber haben wir eben ausführlich gesprochen.«
Jetzt war es an Norma, sich zu wundern. »Du meinst, die ›Villa Stella‹ war das Thema?«
Tiri habe in der Villa gewohnt, erklärte Franziska geduldig. »Furchtbar ungemütlich war das, die Zimmer verwahrlost, keine funktionierende Heizung. Tiri teilte sich das Haus mit anderen Studenten. Alle fanden es hässlich, nur Tiri mochte es. Die Villa hatte es ihm angetan. Er stöberte auf dem Dachboden herum und war völlig aus dem Häuschen, als er dort auf die Originalpläne stieß. Darauf wollte er seine Diplomarbeit aufbauen.«
»Und er hat sich deswegen mit seinen Professoren besprochen?«
»Nein, ihm war klar, die Entdeckung würde für großes Aufsehen sorgen. Er besaß Narrenfreiheit bei seinen Professoren und hielt alles geheim. Tiri brauchte keine Rücksprache. Er wollte mit der abgeschlossenen Arbeit als Überraschungsei zur Diplomprüfung erscheinen. Außer mir kannte niemand das Thema.«
»Und irgendwann Moritz Fischer?«, warf Norma ein.
Eines Tages habe Tiri einen Rat gebraucht und sich an Fischer gewandt. »Fischer versprach hoch und heilig, das Geheimnis zu bewahren. Heimlich kaufte er das Haus und kündigte allen Mietern. Nach und nach zogen die anderen aus. Nur Tiri weigerte sich standhaft. Ich hatte eine eigene Wohnung; er hätte zu mir ziehen können. Er führte sich auf, als wäre er der Hausbesitzer, war völlig uneinsichtig. Du weißt, in welcher Katastrophe der Konflikt endete?«
Norma nickte nachdenklich. »Davon hat er mir selbst erzählt. Aber er hat geleugnet, Fischer zu kennen. Wieso kam Fischer damit durch? Wie kann er sich jetzt als der Entdecker der ›Breuervilla‹ feiern lassen?«
»Weil Tiri sich in Schweigen hüllt. Warum sollte ich mit der Wahrheit an die Öffentlichkeit gehen, solange er es nicht tut?«
Beide schwiegen eine Weile, bis Franziska wiederum das Wort ergriff. »Ich weiß, dass Tiri seit einiger Zeit draußen ist. Willst du hören, was mein erster Gedanke war, als ich vom Mord an Fischer erfuhr? Tiri hat das getan, dachte ich. Er hasste den Mann. Aus seiner Sicht hat Fischer ihn in das Verbrechen hineingetrieben. Ich bezweifle, dass die Haft Tiri zu der Einsicht gebracht hat, jeder Mensch ist für seine Taten verantwortlich.«
Norma fühlte sich wie vor den Kopf gestoßen. »Aber er hat ein Alibi für den Samstagvormittag! Und die Polizei hätte ihn längst unter die Lupe genommen.«
Franziska widersprach ihr. »Das Gerichtsverfahren fand in Frankfurt statt, und es liegt Jahre zurück. Die ›Villa Stella‹ spielte in der Verhandlung kaum eine Rolle. Das Opfer stritt ab, Fischer zu kennen, und behauptete, er hätte sich wegen eines Mädchens rächen wollen. Fischer tauchte weder als Zeuge noch als Angeklagter auf. Warum sollte man Tiri jetzt verdächtigen?«
Norma spürte ein Kribbeln im Nacken. »Ich war Augenzeugin. Es war ein eiskalter Mord. Wie eine Hinrichtung. Traust du ihm eine solche Tat zu?«
Franziska hob unsicher die Schultern. »Ich hatte dem Mann, den ich damals heiraten wollte, auch nicht zugetraut, dass er sich dazu verleiten lassen könnte, einem Menschen den Schädel zu spalten. Woher kennst du ihn eigentlich?«
»Er hat mir bei einer Autopanne geholfen. Danach haben wir uns zufällig wieder getroffen.«
Franziska lächelte wissend. »Ich würde nicht davon ausgehen, dass seine Handlungen dem Zufall unterliegen.«
Norma fragte, ob Franziska in Kontakt zu Tiri stehe.
In den ersten Jahren der Haft habe sie ihn regelmäßig besucht, erzählte Franziska, aber er sei ihr bei jedem Zusammentreffen fremder geworden. Und je länger seine Tat zurücklag, desto unverzeihlicher sei sie ihr erschienen. »Paradox, nicht wahr? Dabei heißt es immer: Zeit heilt alle Wunden. Bei mir wurden die Wunden mit jedem Besuch tiefer. Eines Tages konnte ich seinen Anblick nicht mehr ertragen. Als ich die Beziehung abbrach, hatte er noch Jahre im Gefängnis vor sich.«
Norma
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