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Weinrache

Weinrache

Titel: Weinrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Kronenberg
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sollte sie einen Besuch machen.
    Mit diesem Entschluss startete sie den Motor und fuhr zur Platter Straße, die sie hinauf in den Taunus und 10 Minuten später auf die Hühnerstraße leitete. Unterwegs trocknete die Jeans in der Heizungsluft. Dieses Mal erkannte Norma die Abzweigung rechtzeitig und erreichte nach kurzer Fahrt durch Wald und Felder das abgelegene Wiesental. Auf den letzten Metern teilten sich die Wolken, und hoch über den Dächern spannte sich ein Regenbogen. Norma stand nicht der Sinn nach Romantik, und sie behielt die Pfützen im Blick, als sie zum Haus der Lehrerin ging. Tiri befand sich hoffentlich in der Weinstube. Falls nicht, wollte sie als Grund für den Besuch die Recherche nach einer ehemaligen Schülerin von Vroni Zurmühlen vorschieben. Eine fantasielose Ausrede, mit der er sich zu begnügen hätte.
    Die alte Dame öffnete die Tür, noch bevor Norma die Treppe erreichte. »Sie bringen die Sonne mit. Frau Tann, nicht wahr?«
    Sie schmunzelte vergnügt, als Norma den Namen bestätigte. Auf ihr Gedächtnis könne sie sich wie früher verlassen, verkündete sie stolz.
    Das freut mich zu hören, dachte Norma vorausschauend.
    Die Lehrerin bat sie ins Haus und führte sie in ein überladenes Wohnzimmer. Die Möbel stammten von ihren Eltern, erklärte Vroni Zurmühlen, und bot Norma einen Ohrensessel am Fenster an. Um nicht im Polster zu versinken, rückte Norma auf die Kante vor und stützte sich mit den Ellenbogen gegen die Lehne.
    Die alte Dame hielt ihr einen Teller mit Sandkuchen vor das Gesicht. »Greifen Sie zu! Der Kuchen ist selbst gebacken.«
    Norma nahm sich ein Stück. Ihr Magen verlangte nach einem Mittagessen. Das trockene Gebäck war besser als nichts.
    Vroni Zurmühlen setzte sich gegenüber auf einen Stuhl mit hoher Lehne und beobachtete ihren Gast aus der erhöhten Perspektive. Mit einem verschmitzten Lächeln fragte sie: »Was kann ich außerdem für Sie tun?«
    Norma beugte sich vor und reichte ihre Karte hinüber. »Ich bin Privatdetektivin.«
    Die Dame kräuselte enttäuscht die Stirn. »Ich dachte, Sie wären wegen Tiri gekommen.«
    »So ist es«, erklärte Norma.
    »Aber nicht aus persönlichem Interesse?«
    Sie wolle sich weder in Tiris noch in Normas Privatleben einmischen, fügte sie hinzu, aber Tiris Wohlergehen sei ihr nicht gleichgültig. Nach ihrer Einschätzung fehle ihm eine Person, die ihn stütze und eine Perspektive aufzeige nach den schweren Zeiten, die das Schicksal ihm aufgebürdet habe.
    Sie müsse etwas klarstellen, antwortete Norma mit freundlicher Bestimmtheit. Sie sei keine Therapeutin für resozialisierungswillige Straftäter. Zu seinem Los habe Tiri einen nicht unbeträchtlichen Teil beigetragen. »Ich will seine Tat nicht verurteilen. Das war die Aufgabe des Gerichts, und er hat seine Strafe verbüßt. Aber er muss zu dem stehen, was er verbrochen hat.«
    Vroni Zurmühlen nickte zufrieden. »Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Tiri ist Ihnen nicht gleichgültig. Noch etwas Kuchen?«
    Sie reichte den Teller hinüber.
    Norma griff nach einem kleineren Stück und biss hinein, bevor sie sagte: »Ich möchte Sie um eine Auskunft bitten. Das ist sehr wichtig für mich.«
    »Auch wichtig für ihn?«
    Norma war beeindruckt. Ein alles verzeihendes Mutterherz hätte sich kaum umfassender um Tiri sorgen können als diese Nachbarin. Ob sie früher ihren Schülern gegenüber auch so nachsichtig war? Oder zeigte sich darin die Milde des Alters?
    »Frau Zurmühlen, es geht um den Samstag vor drei Wochen. Das war der Tag, an dem der Architekt Moritz Fischer erschossen wurde. Erinnern Sie sich?«
    Die alte Dame spitzte die Lippen. »Halten Sie mich für senil? Selbstverständlich weiß ich Bescheid! Eine furchtbare Geschichte. Aber was hat Ihre Frage mit Tiri zu tun?«
    Das wolle sie herausfinden, gab Norma geduldig zur Antwort. »Sie wissen also ganz genau, was Sie an diesem Vormittag getan haben?«
    Vroni Zurmühlen lächelte. »Daran erinnere ich mich so deutlich wie an das Gespräch, das wir beide bei Ihrem ersten Besuch darüber geführt haben.«
    Norma gab das Lächeln zurück. »Damals haben Sie mir erzählt, Sie seien im Hause geblieben, während Tiri das Holz sägte.«
    »So war es. Mein Rücken machte mir zu schaffen. Tiri hat früh morgens mit der Arbeit angefangen. Gegen 10 haben wir zusammen in meiner Küche gefrühstückt. Die Zeit weiß ich genau, weil ich auf die Post wartete, auf einen wichtigen Brief von der Versicherung. Der Postbote kam spät

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