Weinrache
dankte für das offene Gespräch. Sie erhob sich.
Franziska begleitete sie zur Tür. »Wie geht es ihm?«
»Er wirkt stabil, in sich gefestigt«, sagte Norma. »Jedenfalls nach meinem flüchtigen Eindruck. Er arbeitet als Geschäftsführer einer Weinstube.«
»In einer Weinstube?« wiederholte Franziska verblüfft. »Eine merkwürdige Vorstellung.«
»Er hat im Gefängnis eine Ausbildung als Koch abgeschlossen.«
Gekocht habe er immer gern, bestätigte Franziska. Aber es würde sie beunruhigen, wenn er die Architektur völlig aufgeben hätte. Das hieße nach Tiris Einschätzung, Fischer habe ihm wirklich alles genommen.
Draußen auf der Treppe wandte Norma sich um. »Eins noch: Kennst du einen Bruno Taschenmacher?«
Franziska nickte. »Hat Tiri den Job von ihm?«
Das hätte sie sich gleich denken können, meinte sie, als Norma die Frage bejahte. Bruno habe Tiri von jeher beigestanden. Er sei sein Cousin, erklärte Franziska. »Die Mütter der beiden sind Schwestern. Tiris Eltern leben nahe bei Stuttgart. Mit ihnen kam Tiri überhaupt nicht klar. Bruno hat sich um seinen Cousin gekümmert, als er zum Studium ins Rhein-Main-Gebiet kam. Nach der Tat hat er ihm den Rechtsanwalt bezahlt.«
Franziska lud sie zu einem weiteren Besuch ein. »Falls du noch Fragen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen. Aber versprich mir eins: Erzähle ihm nichts von mir. Sonst fällt es ihm noch ein, hier aufzutauchen.«
Und das könne sie brauchen wie die Pest.
33
Auf dem Weg zurück zum Parkplatz pfiff ihr der Wind um die Ohren. Die Jeans klebte nass und schwer auf den Oberschenkeln. Norma suchte Schutz im Wagen und schob den Schlüssel ins Schloss, ohne den Motor zu starten. Sie musste eine Entscheidung treffen.
Franziska Katz traute Konstantin Sundermann also einen Mord zu! Und was glaubte sie selbst? War Tiri der Mann in der Mönchskutte, der die Waffe auf sein Opfer richtete und mit eiskalter Berechnung abdrückte? Sie hütete sich, seine verurteilte Tat kleinzureden oder gar zu entschuldigen. Er hatte mit einem Knüppel auf einen Mann eingedroschen und den Tod seines Opfers in Kauf genommen. Aber ein versuchter Totschlag war keinesfalls vergleichbar mit einem geplanten Mord. Eine teuflische Wut, ein übermächtiger Zorn, der von einem Menschen Besitz ergriff: Diese Phänomene waren ihr zu oft begegnet, als dass sie darüber richten wollte. Sie selbst würde sich nicht von der Gefahr freisprechen, die Kontrolle zu verlieren.
Jedoch, die Indizien verdichteten sich. Bis vor einer Stunde hatte sie es dem Zufall zugeschrieben, dass ausgerechnet Bruno Taschenmacher Tiris neuer Arbeitgeber war. Jetzt wusste sie, es gab enge familiäre Bindungen zwischen beiden Männern. Bruno war nachtragend, und Fischer hatte ihn tief gekränkt. Stand Bruno als treibende Kraft im Hintergrund und hatte Tiri als Henkerslohn den Job in der Weinstube versprochen? Die Aussicht auf eine berufliche Chance, gekoppelt mit einem persönlichen Motiv, das kaum überzeugender ausfallen konnte, mochte einem Mann, der sein Leben als verpfuscht betrachtete, als Anreiz für einen Mord genügen. Gegen diese Hypothese stand Tiris Alibi; bezeugt von einer Dame mit untadeligem Ruf. Besaß sie einen Grund zu lügen? Oder unterlag sie einem Irrtum?
Neben diesen ungeklärten Fragen musste Norma sich einer Gewissheit stellen: Die Ermittlungen im Fall Fischer überstiegen die Kompetenzen einer Privatdetektivin. Der nächste Weg sollte sie ins Präsidium führen, ohne Aufschub zu Wolfert und Milano; ein Gang, den sie sich gern erspart hätte. Milano gebärdete sich wie die moralische Instanz in Person. Diese Selbstgerechtigkeit, mit der er sie vor einigen Tagen verhört hatte, war schwer erträglich. Wolfert scheiterte mit seinem zaghaften Versuch, die Emotionen zu dämpfen, und überließ Milano das Wort, ohne ihr beizustehen. Norma hatte sich mit dem Anwalt beraten und nur erzählt, was sie für notwendig hielt. Milano ließ nicht ab von der fixen Idee, sie hätte Arthurs Tod verschuldet. Nun sollte sie ihm zur Belohnung Fischers Mörder liefern?
Nein, entschied sie. Leichtfertig wollte sie niemanden an den Pranger stellen. Sie kannte Milanos Arbeitsmethoden nur zu gut. Tiri wäre sein Wunschverdächtiger. Milano würde ihm das Leben zur Hölle machen, alle Nase lang ins Weinlokal hereinplatzen, dort peinliche Szenen verursachen und Brunos familiären Großmut aufs Äußerste strapazieren. Bevor sie mit ihren Verdächtigungen eine Kettenreaktion auslöste,
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